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Videospiele

Unser FIFA-verrückter Autor hat sich von einem PES-Spieler (fast) bekehren lassen

Für unseren Autor sind Pro-Evolution-Soccer-Spieler Ewiggestrige, die auf Realismus abgehen und Fantasienamen schlucken. Deshalb haben wir ihn in die Höhle des Löwen geschickt. Und das extralange Gras hat ihn ordentlich benebelt.
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„Markus, ich habe einen Spezialauftrag für dich", rief mir mein Chefredakteur zu. „Bitte such mal jemanden, der lieber PES statt FIFA zockt."

PES. Irgendwie sagt mir der Name was. Ganz vage. Aber was war das nochmal? Ach ja, das Fußballspiel, das man vor 10 Jahren mal gezockt hat. „Toni", meinte ich. „Da kann ich gleich einen Schalker suchen, der im Großkreutz-Restaurant essen geht." Habe ich natürlich nicht gesagt. Dafür war ich viel zu schockiert. Denn mal ganz ehrlich: Wer zockt bitte noch Pro Evolution Soccer?

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Als Schalker undercover in Kevin Großkreutz' Hipsterrestauran

Doch schon nach wenigen Minuten hatte ich dank eines Facebook-Hilfeaufrufs einen überzeugten PES-Spieler an der Hand. Armer Kerl, dachte ich mir. Einer von diesen Ewiggestrigen. Bei unserem Messenger-Gespräch wirkte er dann überraschenderweise doch ganz modern. Er hatte sogar Whatsapp. Außerdem konnte ich einen Hausbesuch für Sonntag 17 Uhr festsurren.

So landete ich im beschaulichen Berlin-Tempelhof, wo mir Jaro—ein gebürtiger Pole und brennender Barça-Fan—die Tür aufmachte. Dass unser Gespräch keinesfalls zu steif verlaufen würde, war schon beim ersten Anblick klar. Jaro machte mir in Sporthose und Schlabber-T-Shirt auf (warum kopierte der Kerl mein Lieblingsoutfit?!). Als mir dann noch in der Tür ein Bier angeboten wurde, wusste ich: Hier bin ich richtig.

Blieb nur das „kleine" Manko, dass wir nicht FIFA, sondern PES zocken würden. Es sollte mein erstes Mal Konami seit 2009 werden. Damals spielten fast alle meine Freunde noch Pro Evolution Soccer, bis sie keinen Bock mehr hatten auf Vereinsnamen wie North London (statt Arsenal) oder Man Blue (statt City). PES, das war für mich seit Jahren mehr Anachronismus als ernst zu nehmendes Fußballspiel. Was übrigens auch durch die Entwicklung der Verkaufszahlen gestützt wird, wo PES schon seit etlichen Jahren FIFA deutlich hinterher hinkt. Konkrete Zahlen gibt es nicht. Nur so viel: Am ersten Wochenende verkaufte sich FIFA 2012 in England 25 Mal besser als PES.

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Als wir Jaros Wohnzimmer betraten, leuchtete sein Fernseher schon „Pro Evo"-esk. Er war nämlich grade dabei, die polnische Nationalmannschaft zu editieren. Sprich, aus (nicht mal slawisch klingenden) Fantasienamen Piszczeks, Miliks und Lewandowskis zu machen.

„Ha", meinte ich. „Da haben wir doch schon den ersten großen Nachteil als PES-Spieler. Man muss den ganzen Käse manuell einstellen, weil ihr keine Lizenzen habt." Jaro zeigte sich komplett unbeeindruckt von meiner ersten Salve und schoss prompt zurück: „Erstens gewöhnt man sich daran und zweitens gibt es auch Packages zum Runterladen. Dafür sehen unsere Schüsse 1.000 Mal realistischer aus."

Und schon befanden wir uns mitten im Grabenkampf der Fußballsimulationsenthusiasten. Die Spiele waren endlich eröffnet.

Ich ließ Jaro erstmal ein Match spielen und schaute mir den „Spaß" als komplett neutraler Beobachter an.

Als Erstes gab mir Jaro einen kurzen PES-Crashkurs. Ich stellte dabei überrascht fest, dass er schon PES 17 zockte. Irgendwie war der Release komplett an mir vorbeigegangen, während mich mein Facebook-Newsfeed in einer Tour an den heilbringenden 29. September erinnert: den Tag, an dem FIFA 17 auf den Markt kommt. Ich wollte von Jaro wissen, warum er glaubt, dass FIFA PES den Rang abgelaufen hat und alle auf den FIFA-Zug aufgesprungen sind.

Nicht alle, betonte er. „Ich habe viele Freunde in Spanien und von denen spielt keiner FIFA. Die sind genauso PES-verrückt wie ich." Ob das an dem dreijährigen Exklusivvertrag zwischen Konami und dem FC Barcelona liegen könnte, fragte ich mich. Der verbietet es EA Sports, das Camp Nou in seine Stadionsammlung aufzunehmen. Auf jeden Fall kann es nicht an der PES-Version von Real Madrid bzw. „MD White" liegen, denn die sieht unterirdisch aus. Allein schon das Logo hat die Klasse eines betrunkenen Hooligans aus Blackpool. Jaro vermutete, dass EA Sports in Spanien einfach nicht so flächendeckend Werbung macht wie in Deutschland. Oder dass sich Spanier—als echte Fußballästheten—eben lieber für eine realistischere und anspruchsvollere Simulation entscheiden.

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Er selbst wohnt aber nicht in Spanien, sondern in Deutschland. Und ist deswegen in seinem Freundeskreis mittlerweile fast der Einzige, der nicht FIFA spielt. Warum haben aber seine Freunde PES den Rücken gekehrt, wollte ich von ihm wissen. Dreimal dürft ihr raten. „Die sind alle zu FIFA gewechselt wegen der fehlenden Lizenzen bei PES. Viele meiner Freunde sind Bayern-Fans und erst seit 2011 oder so sind die Bayern lizenziert. Da waren meine Freunde aber schon längst ‚übergelaufen'".

Jetzt war auch die Zeit für mich gekommen, zum Controller zu greifen. Und ich wurde leider furchtbar, furchtbar abgezogen. Und verfluchte schon jetzt PES. Und verstand alle Überläufer. Trotz der knapp einstelligen Klatsche pochte ich aber auf eine Revanche. Und in der zweiten Runde sah es gleich schon besser aus. Hier ein Beweisfoto meiner Fortschritte:

Aus der Rubrik ‚Kann noch immer das Unentschieden halten'.

Aber wenn jetzt alle FIFA spielen, warum hält er dann PES die Treue? Jaros Antwort klang fast schon ein bisschen nach Konfuzius. „Ein Spiel, das realistisch ist, macht auf Dauer mehr Spaß." Aber was heißt das genau, wollte ich wissen. PES-Spieler rühmen sich ja seit ehedem damit, dass ihr Spiel viel realistischer sei als der Konkurrent von EA Sports.

Jaro schien seine Hausaufgaben gemacht zu haben. „Es fängt doch schon damit an, dass sich der geschossene Ball bei FIFA nicht dreht. Aber wie willst du in Wirklichkeit einen Schuss mit Effet hinkriegen, ohne dass sich der Ball rotiert? Achte mal bei meinem nächsten Tor darauf, wenn wir uns die Wiederholung anschauen." Glücklicherweise musste ich nicht lange warten. Und ja, in der Wiederholung war gut zu sehen, wie sich der Ball bei seinem scheiß Fernschuss auf dem Weg in mein Tor unnachahmlich dreht. „Schönen Dank, du Arsch", dachte ich mir in alter Helge-Schneider-Manier.

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„Übrigens", legte er noch eine Schippe drauf, „Schüsse dieser Art landen bei FIFA fast immer im Tor. Als ob in Wirklichkeit jeder Schuss aus 25 Metern zu einem Tor führen würde." Als ich mir in Erinnerung rief, wie oft ich bei FIFA in der 90. Minute (und gerne auch noch später) dumme Gegentore durch Fernschüsse kassiere, sah ich in Jaro plötzlich einen Bruder im Geiste. Mit seinem nächsten Pro-PES-Argument traf er dann bei mir so richtig ins Schwarze. „Wenn ich FIFA spielen muss, regt mich eine Sache besonders auf. Ich spiele mit meiner Lieblingsmannschaft Barcelona und komme über die extrem schnellen Außen. Wenn ich dann sehe, dass ein 0815-Verteidiger meinen Neymar einholen kann, kommt mir das Kotzen. Das ist so unrealistisch." Autsch, der saß. Ein echter Wirkungstreffer für Leute wie mich, die bei FIFA gerne mit Dortmund zocken und sich jedes Mal aufs Neue darüber aufregen, dass Aubameyang oder Reus den Abwehrspielern trotz deutlicher Sprintvorteile nicht enteilen kann. Langsam begann meine Anti-PES-Mauer zu bröckeln. Und dann gelang mir auch noch das erste Tor.

Foto von meinem ersten Tor. Glaubt mir: ein Lattenknaller-Zungenschnalzer. Und wie ihr seht, war der auch drin. #videobeweis

Und was ist bei PES noch realistischer? Die Vorteile würden in den Feinheiten liegen, erklärte mir Jaro. So hat er schon erlebt, dass wegen Aufstützens abgepfiffen wurde. Und wenn Luis Suárez leicht im Gesicht touchiert wird, würde der sich theatralisch fallen lassen. OK, das klingt nun wirklich realistisch, dachte ich mir.

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Dann holte Jaro noch ein bisschen aus und wurde fast schon wieder konfuzianisch: „Ich finde, dass PES eh mehr was für Perfektionisten ist. Wir PES-Spieler müssen aufgrund der fehlenden Lizenzen eh schon viel mehr editieren und umstellen. Darum sind wir vielleicht auch eher geneigt, mehr Zeit für Detaileinstellungen aufzubringen. Bei PES kann man mehr tüfteln, sich mehr austoben. Und dazu muss man nicht mal tausend verschiedene Menüpunkte aufrufen." Und weil Jaro ein Guter ist, gab er mir gleich ein konkretes Beispiel:

So kann man bei PES die individuelle Spielerposition schon bei der Aufstellung editieren und muss nicht erst in den Tiefen des Streber-Menüs herumwerkeln. In dem Fall haben wir Dembelé einfach mal Richtung Eckfahne verschoben (siehe Cursor).

Was Jaro außerdem mit ‚Perfektionisten' meinte, wurde spätestens klar, als er mich auf eine kuriose Einstellungsoption hinwies. Man kann bei PES die Graslänge einstellen.

Nicht nur den Spielfeldzustand kann man einstellen, nein, auch die Graslänge.

Für mich als Gelegenheitszocker ist das fast schon eine Schippe zu nerdig, zeigt aber perfekt den Anspruch an Realismus, den PES-Spieler an eine Fußballsimulation stellen. So erklärte mir Jaro, dass das Wasser bei Grätschen auf längerem Rasen mehr spritzen und sich auch der Spin bei Aufsetzern ändern würde.

Doch auch wenn Jaro den perfekten PES-Marketingagenten geben könnte: Irgendwas muss ihm an PES doch auch missfallen. „Klar", meinte er, „die Sache mit den Lizenzen ist schon mega nervig. Und die Kommentatoren sind kaum auszuhalten mit ihren ständigen Wiederholungen." Was müsste denn passieren, damit er auch zu FIFA „überläuft", wollte ich von ihm wissen. „Wenn mein Lieblingsverein Barcelona nicht mehr lizenziert wäre, wüsste ich nicht, was ich tun würde. Zum Glück hat Konami aber mit denen grade erst eine dreijährige Partnerschaft abgeschlossen."

Nachdem ich das nächste Spiel verloren hatte (wenn auch (relativ) knapp!), schlug mir Jaro vor, dass wir die „FIFA 17"-Demo herunterladen. So könnte ich die Vorteile seines Lieblingsspiels im direkten Vergleich sehen. Ein letztes Mal überkam mich ein Anflug von Hochmut. „Dann mach aber auch!", fuhr es aus mir heraus.

Gesagt getan. Wir legten los. Mein erster schrecklicher Gedanke: Rein grafisch kann ich jetzt eigentlich keinen Vorteil sehen. Und es wurde noch ketzerischer: Die Spieleraktionen kamen mir bei PES fast noch ein bisschen flüssiger vor. Und dann entpuppte sich Jaro auch noch als Orakel. Ich fing mir einen Schuss aus locker 25 Metern und wir mussten beide mächtig losprusten. Nach einem weiteren Gegentor—diesmal aus der Kuller-Kategorie—wollte ich schon den Controller wegwerfen, als er meinte: „Schau dir mal in der Wiederholung an, wie übertrieben der Spieler ausholt, als würde jetzt eine Roberto-Carlos-Granate kommen, dabei trudelt der Ball doch ins Tor."

Geil, jetzt hat mir Jaro nicht nur zwei Tore eingeschenkt, sondern auch noch meine Vorfreude auf FIFA 17 gedämpft. Aber jetzt mal im Ernst. Ich fuhr zu einem begeisterten PES-Spieler und dachte irgendwie, dass mich eine zweitklassige Fußballsimulation erwarten würde. Doch das Gegenteil war der Fall. Denn was den reinen Spielspaß betrifft, muss sich PES mitnichten vor FIFA verstecken. Und wer dann noch auf maximalen (bis überflüssigen) Realismus steht, ist bei PES an der richtigen Adresse.

Wäre da nicht diese leidliche Lizenz-Situation. In diesem Zusammenhang hat mich vor allem überrascht, wie wenig die Konami-Entwickler bemüht sind, die nicht lizenzierten Teams so gut es (rechtlich) geht abzukupfern. Warum werden nicht wenigstens polnisch klingende Namen gewählt, wenn es um die polnische Nationalmannschaft geht? Warum sieht das Logo von „Real Madrid" so aus, als hätte es ein Druffi mit Microsoft Paint entworfen. Es beschleicht einen fast den Verdacht, dass sich Konami mittlerweile mit der Rolle des Underdogs angefreundet hat. Als würde man durch die Blume sagen wollen: Wir sind eben ein Spiel für Kenner, für Realismus-Genießer, für Leute wie Jaro und seine spanischen Freunde. Das reicht zwar nicht zum Kassenschlager, aber trotzdem zu einem verdammt guten Fußballspiel.