Warum man als Kroate niemals ein Tippspiel leiten sollte
Das ist leider nicht unser Autor; Foto: Imago/Sven Simon

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Moskau-Inkasso

Warum man als Kroate niemals ein Tippspiel leiten sollte

Ich, gebürtiger Kroate, habe eine Tipprunde ins Leben gerufen. Von meinen Mitspielern werde ich als Jugo-Betrugo oder Ante Sapina diffamiert. Doch merkt euch eins: Wenn ich meine Einsatzgebühr nicht bekomme, gibt es Moskau-Inkasso.

Derzeit messen sich überall Bundestrainer und -trainerinnen in Online-Tippspielen. Meine Freunde und ich ebenso. Ich bin Spielleiter—und gebürtiger Kroate. Ein pikanter Mix, wie meine Freunde finden. Es trifft mich allerdings unerwartet, des Wettbetrugs, der Geldwäsche und der Korruption bezichtigt zu werden. War ich zu naiv? Dabei fängt alles ganz harmlos an.

Die EM-Vorrunde ist vorbei. Es gibt überglückliche, hoffnungsfrohe, bangende und tiefenttäuschte Protagonisten. Zum einen auf dem Spielfeld, den Trainerbänken und den Zuschauertribünen. Zum anderen vor den heimischen Computern. Denn WM- und EM-Turniere sind die Blütezeit von Online-Tippspielen. Meine Freunde und ich machen das schon seit Jahren. Es finden sich immer die üblichen 20 Verdächtigen, die drauflos tippen, meist einfach nur so, ohne dass Geld im Spiel ist.

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Für gewöhnlich gründet einer meiner Freunde eine Tipprunde und schreibt eine Rundmail. Doch diesmal: Funkstille. Keine E-Mail. Kein Aufruf. Nichts. Dann mache ich das halt. Tipprundengründung geht ganz schnell. Namen ausdenken: Cool-and-the-Gang. Check! Punktevergabe festlegen. Check! Dann bestimme ich, dass es etwas zu gewinnen gibt. Gewinne, Gewinne, Gewinne. Geldgewinne! Fünf Euro Einsatz von jedem. 50 Prozent für den Ersten, 30 für den Zweiten, 20 für den Dritten. Check! Was ich nicht einkalkuliert habe: dass es Hohn und Spott hageln wird, weil ich als gebürtiger Kroate der Spielleiter bin.

Bevor mich die Hagelkörner treffen, bin ich guter Dinge und voller Tatendrang. Ich betreibe aggressivstes Marketing. Zehn Tage lang. Jeden zweiten Tag eine Rundmail. Im Verteiler enthalten: alle, die ich kenne und die nur im Entferntesten fußballinteressiert sind. Ich verwende unterschiedliche Schriftarten und -größen und -farben. Jeder Satz ist eine Aufforderung und mit Ausrufezeichen versehen. Formulierungen, wie „bereichere dich an deinen Freunden" und „schnelles Geld garantiert". Gezeichnet: der Gute-Laune-Bär. Feinstes Marktschreierdeutsch. Maximal nervig und dazu polarisierend. Denn meine E-Mails spalten den Freundeskreis in Zocker und Moralisten. Geld verderbe das Spiel, meint etwa mein ehemaliger Fußballtrainer. Soll er doch meinen. Das Resultat kann sich sehen lassen: 41 Zusagen. Freundeskreisrekord. Check!

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Wer mitmacht, muss sich einen Namen überlegen. Theoretisch reicht der Klarname, praktisch macht das aber keiner. Ist ja auch totlangweilig. Stattdessen brennt jeder ein Witzfeuerwerk ab. Wir nennen uns Jerome Boa-Dan, LaMonique, CoolMacCool, Vereinsmaier, Bierbaron, Klara_Elfer und FemmeFinale. Ich heiße ATC3000. Schon immer. Inspiriert vom gehassliebten CR7 aka Cristiano Ronaldo. Aber derzeit nennt mich niemand bei meinem Tippspielnamen. Weil ich Kroate bin. Schwingt man sich als solcher zum Spielleiter einer Tipprunde auf, bei der Geld im Spiel ist, bietet man viel Spitznamenangriffsfläche. Also heiße ich weder André noch ATC3000, sondern Jugo-Betrugo oder Ante Šapina. Meine Wohnung ist nicht mehr meine Wohnung sondern das Café King, der einstige Dreh- und Angelpunkt der Wettmafia. Dort hat Šapina Fußballspiele im großen Stil verschoben. Macht mir nichts aus, geht links rein und rechts raus. Sollen sie nur reden. Ich betreibe kein Wettbüro sondern bin eine seriöse Lotto-Toto-Annahmestelle.

Die Ćevapčići-Connection

Von wegen seriös. Kann gar nicht sein, wenn der Tucić einen auf Spielleiter macht, meinen manche meiner Freunde. Einer von ihnen möchte wissen, welche Rolle ich beim Bandenskandal rund um Hypo Alpe Adria gespielt habe. Mir wird sogar eine Teilschuld am unsäglich Verhalten einiger Kroaten bei der EM gegeben. Dass einige Hooligans der Rot-Weiß-Karierten beim Spiel gegen Tschechien Pyrotechnik abfackeln, einen Ordner verletzen und sich gegenseitig prügeln, läge an meiner Nähe zu Davor Šuker und Zoran und Zdravko Mamić. Die drei sind die personifizierte Korruption im kroatischen Fußball und sollen für die Hools die Rechtfertigung für die Randale sein. Eine abenteuerliche Kausalkette. Noch abenteuerlicher ist es, meine Söhne mit reinzuziehen. Die Jungs sind nicht mal ein Jahr alt. Ob wir drei eine Briefkastenfirma in Luxemburg unterhalten und in den Panama Papers auftauchen? Tucić & Söhne, Ćevapčići-Connection, heißt es im Tipprunden-Forum.

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Was soll ich machen? All das über mich ergehen lassen? Mich wehren? Meine Antwort sind gut gemeinte Angebote: Ich biete den Tippspiel-Teilnehmern einen Workshop in kreativer Buchführung und ein Seminar mit dem Titel „How to performe in Offshore Paradise". Ebenso offeriere ich einen Praktikumsplatz bei Milan Bandić. Der Bürgermeister von Zagreb wurde 2014 wegen Korruptionsvorwürfen, Amtsmissbrauchs und illegaler Einflussnahme festgenommen, aber gegen Kaution wieder freigelassen. Das Kokettieren mit meiner Herkunft lässt den Shitstorm allerdings nicht enden. Mir wird angedroht, dass Transparency International meine Büroräume durchsucht und dass mein zuckersüßes Leben in einer weit entfernten Steueroase bald ein Ende hat. Zudem werde ich gefragt, wie viel Bakschisch ausreicht, damit man im Tippspiel unter den ersten Drei landet.

Diese verdammten Underdogs

Wieso die ganze Aufregung? Ich bin gänzlich unverdächtig, den Jugo-Betrugo zu mimen. Das Tippspiel verläuft voll und ganz zu meinen Ungunsten: Ich dümpel´ im Mittelfeld herum, weit weg von den ersten drei Gewinnplätzen. Woran liegt´s? Ich erinnere mich an mein erstes Online-Tippspiel zur WM 2002. Ein guter Freund empfahl mir: „Tipp´ste immer 2:1, mach´ste nix falsch mit." Das gute alte 2:1 ist nämlich der Allzeitklassiker unter den Fußballresultaten. Oft halte ich mich an seinen Ratschlag, auch bei dieser EM. Allerdings: 26 Spiele wurden bislang an- und wieder abgepfiffen, nur viermal stand nach 90 Minuten 2:1 auf der Anzeigetafel. Immer dann, wenn ich ein anderes Ergebnis zu wissen glaubte. Auch meine zweite Taktik ist für die Katz: Es gewinnt, wer in der FIFA-Weltrangliste besser platziert ist. Ganz easy. Der Haken daran: Diese verdammten Außenseitersiege. Wales, Nordirland, Ungarn. Wieso gewinnen die denn plötzlich? Eigentlich ganz schön, Underdogs mag man ja. Aber hab´ ich das getippt? Hab´ ich nicht. Finde ich das dann gut? Finde ich nicht.

Läuft also nicht gut für mich. Ich werde gepiesackt, tippe laufend falsch und muss zu allem Überfluss auch noch den fünf Euro Tipprundeneinsatz eintreiben. Denn die Zahlungsmoral lässt zu wünschen übrig. Interessant, wer bis heute nicht gezahlt hat: der Pole, die Eltern des Polen, die beiden Türken und ein paar Langzeitstudenten. Mh, mh, mh? Ich sag ja nur, ich sag ja nur. Apropos ich sag ja nur: Ich weiß, wer Europameister wird. Nicht etwa, weil ich tatsächlich über weitreichende Kontakte verfüge wie meine Landsleute Šapina, Šuker, Mamić und Bandić. Ich habe es, wie so viele andere auch, vor rund zwei Wochen getippt. Italien nämlich. Die Squadra Azzurra schlägt La Mannschaft im Viertelfinale, besiegt Les Bleus im Halbfinale und macht Wales im Elfmeterschießen. Ach ja, bevor ich es vergesse: @bundesdoener, ich kriege noch fünf Euro von dir! Kohle an die Sonne, sonst Moskau-Inkasso!