Zwischen Ostalgie und Stasi-Erbe: Wie Eisbären-Fans den Dynamo-Kult weiterleben
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Zwischen Ostalgie und Stasi-Erbe: Wie Eisbären-Fans den Dynamo-Kult weiterleben

Vor über 20 Jahren versuchte der Eishockey-Club SC Dynamo als Eisbären Berlin die eigene Stasi-Vergangenheit zu verdrängen. Die Fans schreien bis heute „Dynamo" und frönen der Ostalgie. Allerdings aus unterschiedlichen Motiven.

„Ohhooohhhoohhhh ohoohooh, Forza Dynamo", schallt es im Dezember durch die Mercedes-Benz-Arena am Ostbahnhof beim Heimspiel der Eisbären Berlin gegen die Adler Mannheim. Die 14.000 Fans singen und hauen gegen ihre Klatschpappen. Inmitten der Schals und übergroßen Eishockey-Trikots in den Vereinsfarben Dunkelblau, Rot und Weiß tanzen weinrote Shirts aus der Reihe. Auf ihnen prangt das geschwungene Dynamo-„D", und Aufschriften wie „Eine Legende ohne Ende" oder schlicht „Ost-Berlin" verzieren die Kleidung. Für einige Fans lebt die Legende Dynamo Berlin weiter.

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„Kiek mal, wir hießn' früher SC Dynamo Berlin Sektion Eishockey", berlinert Ralle. „Mit der Wende kommt dann jemand zu uns und sagt: ‚Passt mir nicht'. Dann gibt er uns einen anderen Namen und Geld", erklärt er heißblütig und gestikuliert mit seinem Bier in der Hand. Ralle schätzt man auf Mitte 40, er hat graues Haar und seine Augen funkeln, wenn er über seinen Verein spricht. Ihn kennt hier jeder. Er ist Fan der Eisbären Berlin, aber trägt einen weinroten Schal mit der Aufschrift „Dynamo". „Wir sind 15 Mal Meister geworden in der DDR und auf einmal willst du alles abschaffen?"

Anfang der 1950er-Jahre entsteht in der DDR aus dem Volkspolizeiverein der SC Dynamo Berlin. Die Eishockeyabteilung entwickelte sich schnell zu einer der erfolgreichsten im ganzen Land. Nach der Wende gliederte man den Verein in der gesamtdeutschen Bundesliga ein und änderte im Jahr 1992 seinen Namen in EHC Eisbären Berlin—das Kapitel Dynamo samt DDR-Erbe sollte endgültig beendet werden. Die Eisbären wurden zu Publikumsmagneten und Rekordmeister der Deutschen Eishockey Liga (DEL). In den Köpfen vieler Fans lebt Dynamo aber weiter—sogar bei den jüngeren Anhängern.

Ralle in Weinrot im Fanblock der Eisbären, Foto: Jay

„Als die DEL 1994 gegründet wurde, führten sie die Tierzeichen ein. Ich bin kein Fan davon", erklärt ein schlanker Kerl Mitte 20 mit kurzgeschorenen Haaren. Sein blauer Seidenschal ist an beiden Enden verknotet und hängt über seinem schwarzem Windbreaker mit Dynamo-Logo darauf. Er stellt sich als der General vor. Er ist Mitglied der politisch linksorientierten Eisbären-Ultragruppe „Black Corner 2007". Als er das erste Mal seinen Verein spielen sah, hieß dieser schon Eisbären—er hält dennoch an Dynamo fest. „Für mich muss ein Verein eine Identität und Geschichte haben. Ich will nicht irgendwelche erfundenen Tiere nach vorne schreien."

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Der Eisbär sollte vor allem Sponsoren anlocken. Dem Namen Dynamo haftete das Image eines Schmuddelvereins mit DDR-Verbindung und Stasi-Vergangenheit an. Eishockeyfan und Stasi-Chef Erich Mielke stand dem Verein von 1953 bis 1989 vor. Wie die Fußballer vom BFC Dynamo profitierte das Eishockeyteam von der wohlgesonnenen Staatsspitze. Als die DDR-Sportbosse etwa Eishockey im Jahr 1970 von der Liste der förderungswürdigen Sportarten strichen, durfte Dynamo Berlin dank Mielke trotzdem weiterspielen—jedoch in einem absurden Modus. Fast zwanzig Jahre maßen sich lediglich Dynamo Berlin und Dauerkontrahent Dynamo Weißwasser in der kleinsten Eishockeyliga der Welt.

Für den sportlichen Aufschwung nach der Wende sorgte erst der Einstieg der Anschutz Entertainment Group im Jahr 1999. Das Unternehmen verwaltet Konzerthallen wie die Berliner Arena oder das berühmte Staples Center in Los Angeles und besitzt neben den Eisbären mehrere Sportvereine wie die Hamburger Freezers oder das NHL-Team Los Angeles Kings. Kamen zu den Heimspielen des ungeliebten Stasi-Klubs nur ein paar hundert Zuschauer, so wurde der geliebte Wellblechpalast mit einer Kapazität von 4.600 Zuschauern irgendwann zu klein. Die Berliner holten sieben Meisterschaften und zogen zwischendurch in die Arena am Ostbahnhof um. Dort entwickelten sich die Eisbären mit einem Durchschnitt von bis zu 14.000 Zuschauern zum drittgrößten Eishockey-Publikumsmagneten in ganz Europa. Viele Fans trauern aber der liebevoll „Welli" genannten Heimstätte in Hohenschönhausen hinterher.

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Dynamo-Choreo im „Welli"; Foto: Jay

„Du hattest im Welli dieses Event nicht, sondern einfach nur Hockey. Es rauscht dort aus den Lautsprechern, alle stehen eng beieinander und du atmest in dieser kalten Halle Geschichte", schwärmt der General von der über 45-jährigen Heimstätte von Dynamo und den Eisbären. Auch Ralle lächelt verzaubert, wenn er über sein Wohnzimmer spricht. „Der Wellblechpalast ist, als ob du nach Hause kommst. Die Atmosphäre dort sucht in Europa seinesgleichen", erzählt er. „Da schlägt das Herz vom Eishockey, in die Arena kriegst du das nicht rein."

Vor allem die stetige Kommerzialisierung und der Umzug in die Arena lässt viele Fans nach Tradition und Dynamo lechzen. „Du kannst dir alles kaufen, aber nicht das stolze Gefühl, mit Dynamo groß geworden zu sein", erklärt Ralle den Zusammenhalt der Ostberliner Fans, die damals in Berlin nur bei Dynamo Spitzeneishockey schauen konnten und über die Verbindungen zur Stasi hinwegsahen. „Über Politik haben wir da nicht gesprochen, sondern wir sind durch die tollen sportlichen Leistungen und die Liebe zum Eishockey bei jedem Spiel dabei gewesen", erklärt Ralle die Zeit, als der Verein trotz vieler Erfolge wenig Glamour versprühte und noch weniger Sympathien bekam. Für ihn gehört Dynamo dennoch zu den Eisbären: „Ich bin stolz auf die Vergangenheit. Vereine ohne Tradition und irgendwelche Wurzeln sind doch emotionslose Gehäuse." Dynamo scheint für die Fans wichtiger denn je in der Welt kuscheligwarmer und polsterüberzogener Arenen mit Glasfassade und Popcorn-Ständen und ist jetzt schon beliebter als zu DDR-Zeiten.

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„Dyyyynaaamooo, Dyyynamoo, Dynamo", schallt es in einer Mischung aus Wut und Widerstand aus den Kehlen der Eisbären-Fans nach einer Fehlentscheidung der Schiedsrichter durch die Arena. Den Widerstand kennen sie hier nur zu gut. Bis auf ein zweijähriges Intermezzo von Dynamo Weißwasser sind die Eisbären bis heute das einzige ostdeutsche Team in der DEL. Beleidigungen wie Stasi-Schwein oder Kommunisten-Sau gehörten besonders Anfang der 90er-Jahre zu jeder Auswärtsfahrt in den Westen dazu. In der Heimat von Dynamo, dem Hohenschönhausener Kiez, taten sich die Menschen zudem schwer, sich in die neue gesamtdeutsche Welt zu integrieren. Dynamo schweißte die Menschen zusammen, auch wenn es die Eisbären waren. Die Fans antworteten gemeinsam auf Beleidigungen mit Trotzreaktionen und bestätigten die Klischees mit reichlich Selbstironie und Berliner Großkotzigkeit.

„Dynamo, das ist auch ein Gemeinschaftsgefühl, auch weil man zusammenhalten musste und aus dieser anderen Welt kommt und in der neuen erstmal nichts hatte", erklärt der General, der als Ostberliner in diese Welt hineinwuchs und den Kult um Dynamo weiterhin hochhalten will. Die Fans der damals neuernannten Eisbären sangen also trotzdem weiter für Dynamo—obwohl „Dynamo" zum Unwort erklärt wurde. Im Jahr 2002 tat der kanadische Trainer Pierre Pagé das, was vorher niemand durfte, weil sich niemand traute: Er forderte die offene Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Er ließ zwei weinrote Meisterbanner mit den Jahreszahlen der 15 DDR-Titelgewinne im Wellblechpalast aufhängen und schmückte die Kabine mit alten Fotos und dem dunkelroten Emblem mit dem geschwungenen Dynamo-„D". „Auf das Geleistete können die Leute stolz sein, das darf man doch nicht ausradieren", erklärte Pagé mal verwundert über das Totschweigen der Dynamo-Zeit.

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Der „General" ist Mitglied der Ultragruppe „Black Corner 2007"; Foto: Jay

„Ost-, Ost-, Ost-Berlin!", hallt es aus dem engen Stehplatzblock hinter dem Tor. Der General schwenkt mit einer Dynamo-Fahne, während vor ihm ein Eisbär-Crack seinen Gegenspieler gegen die Bande knallt. Der Dynamo-Kult, die Ostalgie und die Sehnsucht nach Tradition und Zusammenhalt hören sich erstmal romantisch an, doch die Vergangenheit als Sportvereinigung der Polizei und des Ministeriums für Staatssicherheit haben auch einen bitteren Beigeschmack. Ralle ist in der DDR aufgewachsen und war von politischen Einschränkungen und Bespitzelung direkt betroffen, was seine Liebe zu Dynamo aber nicht schmälert: „Ich bin sicherlich damals politisch nicht klargekommen, aber sportlich macht mich dieser Verein und das Gefühl stolz. Es kann eben nicht jedes Arschloch ein Ostberliner sein."

Der General wurde zwar noch in der DDR geboren, aber hat dort nie wirklich gelebt. Er ist euphorisiert von Dynamo, doch er versucht seinen Verein und die damalige auch kritisch zu betrachten: „Wenn ich Dynamo brülle, dann muss ich auch wissen, was sich dahinter verbirgt. Man muss sich mit der Vereinshistorie auseinandersetzen—sowohl mit den positiven als auch mit den negativen Dingen." Viele ältere Eisbären-Fans, die damals schon bei Dynamo dabei waren, haben Schwierigkeiten die jungen Fans und die Bewahrung von Dynamo zu verstehen. „Ich bin froh, dass die jungen Fans da sind, aber manchmal glaube ich, dass sie gar keine Ahnung haben, was sie da überhaupt singen", erklärt Ralle. „Wir haben die Entwicklung vom kleinen gehassten Verein in der DDR mit ein paar hundert Fans bei den Heimspielen bis zum bekannten und beliebten Serienmeister mit tausenden Fans mitbekommen. Das kannst du nicht einpflanzen, das musst du erlebt haben."

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Die jungen Fans entgegnen, dass sie den Spagat zwischen Tradition und der neuen Identität der Eisbären vollziehen. Zudem verdrängten sie etwa auch die Stasi-Gesänge, die auch noch bei den Eisbären gesungen wurden. „Früher wurde hier ‚NVA, SED, nationale Volksarmee' gesungen—heute wird das nur noch geklatscht", erzählt der General. „Andere Lieder wurden umgedichtet, um sie zu erhalten, aber den Stasi-Kult dahinter herauszunehmen."

Einig sind sich die alten und jungen Ost-Berliner aber in ihrer Offenheit gegenüber dem neuen Publikum, das nun auch in die Arena kommt. „Wir hatten eine schöne Vergangenheit, aber jetzt sind wir alle gleich. Die einen durften es miterleben und die anderen halt nicht", erklärt Ralle mit einem Schmunzeln im Gesicht. Der General sieht dies genauso: „Egal ob Zugezogener, Ost- oder West-Berliner. Jeder, der die Eisbären liebt, kann seine Fankultur so ausleben, wie er das will. Aber sicher wünsch' ich mir ein wenig mehr Enthusiasmus von einigen Fans."

Der Verein Eisbären Berlin verkauft mittlerweile auch Merchandising-Artikel von Dynamo. „Die wissen ganz genau: Ohne diese Vergangeheint und die ganzen Verrückten würde es den Verein gar nicht geben", erklärt Ralle. Die Eisbären haben so eine Brücke geschaffen: Sie sind sowohl Anlaufpunkt für viele Menschen, deren Land, in dem sie groß geworden sind, verschwunden ist, als auch für Neu-Berliner, die die DDR gar nicht kannten. „Mir sagte ein älterer Fan mal, dass das ein Verein ist, der in der gesamtdeutschen Liga spielt, aber ein Stück weit noch aus dem alten System hervorgegangen ist", erzählt der General. „Er war bei Weitem kein Systemfreund, aber er hat das Gefühl gehabt, dass ihm etwas gefehlt hat, bis er zu den Eisbären ging."

In der Fanszene will man künftig Themenabende anbieten, die die jungen Anhänger über die Dynamo-Vergangenheit aufklären. Zudem kämpfen sie dafür, dass die weinroten Dynamo-Meisterbanner aus dem Wellblechpalast in die Arena gehängt werden. Trotz des Dynamo-Kults erkennt man aber auch die Grenzen in der Fanszene. „Es darf aber auch trotz der ganzen Euphorie—auch meinerseits—nicht zuviel werden mit Dynamo. Diese Zeit ist vorbei und das ist auch in Ordnung", erzählt der General. Für Ralle sind die über zwanzig Jahre als Eisbär auch eine Herzensangelegenheit geworden: „Ich bin kein Ewiggestriger, da sind zwei Seelen in meiner Brust. Wir sind jetzt die Eisbären, aber wir sind auch Dynamo."

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Alle Fotos: Jay