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Bayernwahl 2018

Die ganze Tragödie des Online-Wahlkampfes der CSU, nacherzählt

#Södermacht's gerade alles falsch.
Foto: imago | Sven Simon

Eines muss man der CSU lassen: Für Drama ist sie immer gut. Vielleicht sollten wir ihr zumindest dafür ein bisschen dankbar sein. Immer dann, wenn CDU und SPD es gerade wieder geschafft haben, ihre Große Koalition so langweilig aussehen zu lassen, dass wir ganz vergessen, dass es sie gibt, kommt – zack! – die CSU daher und löst eine Staatskrise aus. Unvergessen der doppelte Höhepunkt, als Horst Seehofer zuerst seinen Rücktritt von allen Ämtern ankündigte, nur um ein paar Stunden später wieder so zurückzurudern, dass der Chiemsee schäumte! Wie viel dramatischer kann Politik werden?

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Nur: Je näher die bayerische Landtagswahl rückt, desto mehr sieht es aus, als müsste die CSU sich auf einen Genre-Wechsel einstellen. Denn wenn nicht irgendein bayerisches Wunder geschieht, dann wird die Partei am 14. Oktober nicht nur ihre absolute Mehrheit verlieren, sondern auch das schlechteste Wahlergebnis seit Jahrzehnten einfahren. Und das ist dann kein Drama mehr, das ist für die Batzis um den neuen Ministerpräsidenten Markus "Hashtag" Söder eine ausgewachsene Tragödie.

Einen kleinen Vorgeschmack auf das Gefühl bekommen hat die CSU jetzt schon – und zwar mit ihrem Online-Wahlkampf. Beziehungsweise mit der Tatsache, dass sie keinen hat. Dieses kleine Versäumnis ist der Grund, dass sich im Internet jetzt schon eine Art Mini-Tragödie abspielt – die wir hier für euch nachgezeichnet haben.

Dienstagmorgen

Die neuen Wahlplakate der CSU werden aufgehängt. Auf allen Motiven zu sehen: Der Ministerpräsident Markus Söder zusammen mit dem Slogan "Söder macht’s!". Ist jetzt nicht der fetzigste Spruch, und auch da kann man eine ganze Menge blöder Witze drüber machen ("Söder macht's sich selbst"), aber trotzdem: Bis jetzt hat die CSU erstmal keinen Grund, nicht zufrieden zu sein. Das dauert bis …

Dienstagmittag

Auf Facebook und Twitter tauchen "Söder macht’s"-Accounts auf, und vor allem: Die Webseite soeder-machts.de ist live. Das einzige Problem: Keinen dieser Accounts hat die CSU selbst gemacht, und auch die Webseite ist nicht von ihr. Was man auch merkt, wenn man sie sich ein bisschen genauer anschaut: "32.000 öffentliche Wohnungen an private Investoren verscherbeln – und damit 80.000 Mieter im Regen stehen lassen" gehört zum Beispiel zu den Punkten, die Söder da gemacht hat, genau so wie "ein verfassungswidriges Polizeigesetz gegen alle Bedenken durchs Parlament peitschen" und "ein Psychiatriegesetz vorlegen, das psychisch kranke Menschen pauschal kriminalisiert". Nicht unbedingt das, womit man im Wahlkampf angeben sollte. Wenn man nach unten scrollt, löst sich das Rätsel schnell auf: Dort wirbt dann die SPD-Kandidatin Natascha Kohnen für ihre Kampagne.

Wie das passiert ist? Ganz einfach, die CSU hat komplett verpennt, sich die entsprechende Domain für ihre Kampagne zu sichern. Davon hat die bayerische SPD am Samstag Wind bekommen – und sofort zugeschlagen. "Dann musste es schnell gehen", hat der SPD-Pressesprecher dem ZDF erzählt. "Binnen zwei Tagen haben wir das umgesetzt, die Homepage gebaut, die Twitter- und Facebook-Accounts gesichert und dann alles scharfgestellt."

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Früher Dienstagnachmittag

Das ganze Internet lacht jetzt über Markus Söder und die CSU. "Haste Scheiße an den Füßen, haste Scheiße an den Füßen", attestiert der Branchendienst Meedia der Partei. Manche finden es eher zum Heulen, dass die Partei, die seit 2013 die Minister für digitale Infrastruktur und die aktuelle Staatsministerin für Digitalisierung stellt, es einfach vergisst, sich für den eigenen Wahlkampf eine Domain zu sichern. Bei den meisten überwiegt aber die Schadenfreude: Vor allem SPD-Fans und -Mitgliedern und -Politikerinnen platzt fast der Arsch vor Lachen.

Später Dienstagnachmittag

Endlich reagiert die CSU – und zwar maximal beleidigt. Ihr Generalsekretär Markus Blume wirft der SPD eine "Schmutzkampagne" und die Verbreitung von "Fake News" vor. "Bei der SPD muss die Verzweiflung schon ziemlich groß sein, wenn sie CSU-Slogans klauen und den Wählern dreiste Lügen auftischen muss", nölt Blume. Der Twitter-Account der CSU ballert ungerührt weiter Wahl-Bilder unter dem Hashtag #soedermachts ins Netz, obwohl alle anderen Tweets unter dem Tag sich ausschließlich über das Debakel lustig machen. Auch andere CSU-Politiker und Politikerinnen ziehen sich auf die Haltung zurück, die ganze Aktion der SPD sei einfach nur furchtbar kindisch.

Dienstagabend

Offenbar doch nicht zu kindisch. Die CSU launcht noch am selben Abend eine ganze Reihe von eigenen Domains, darunter spdmachtnix.de, aber auch "besserwohnenmitkohnen.de", "kohnenplus.de", "kohnen-plus.de" und "nataschakohnen.bayern", benannt nach der SPD-Kandidatin Natascha Kohnen. Alle Seiten leiten direkt auf das CSU-Wahlprogramm um – ein einzelnes PDF, das sich automatisch selbst herunterlädt. "Konstruktiver Wahlkampf", wirklich wahr.

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Außerdem gibt's noch die Domain "derechtesoedermachts.de" dazu, die ebenfalls aufs Programm leitet, die aber auch nicht so richtig gelungen ist, weil viele Menschen das als "der rechte Söder machts" lesen – und sich wundern, seit wann Söder so offen zu seinen rechtspopulistischen Anklängen steht. "Das ist eine der schlechtest möglichen Reaktionen auf den kleinen Coup der Bayern-SPD", kommentiert der Account von "Campaigning&Strategy", einer Organisation, die sich mit politischen Kampagnen befasst. "Die CSU scheint ernsthaft nervös zu sein."

Ach so: Den Twitter-Account zu "derechtesöder" haben sie sich aber wieder nicht gesichert – hat dann gleich jemand anderes getan:

Mittwoch und Donnerstag

Die Aufregung legt sich langsam, auch wenn manche SPD-Politiker so wirken, als würden sie gerne noch ein paar Tage darüber lachen.

Die CSU hat mittlerweile offenbar eingesehen, dass ihr Verhalten nach dem SPD-Streich (erst laut rumschreien, das sei unseriös, dann selbst mit einem halben Dutzend SPD-URLs an den Start gehen) ein bisschen trottelig war, und hat die Seiten allesamt wieder vom Netz genommen. "Die genannten URLs wurden von uns gesichert, werden aktuell von uns aber nicht bespielt", heißt es dazu aus der Pressestelle. "Wir setzen auf positive Inhalte und Fakten statt auf Negative Campaigning." Könnte aber auch damit zu tun haben, dass die CSU in der Eile bei allen Fake-Seiten das Impressum vergessen und sich mit der Domain nataschakohnen.bayern sowieso auf schwammiges rechtliches Terrain begeben hatte.

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Der CSU-Twitter-Account versucht währenddessen weiter, den Hashtag #soedermachts durch permanente Pro-Söder-Bildchen so zu überladen, dass jede Kritik daran in dem ganzen hellblau einfach untergeht. So langsam scheint es zu funktionieren: Immer weniger Leute finden sich ein, um unter dem Hashtag über Söder und seine Kampagne zu lachen.

Und das, so brutal es auch klingt, ist vielleicht das Beste, was die CSU von diesem Online-Wahlkampf noch erwarten kann. Gut gemacht!

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