"Eines Morgens bekomme ich eine SMS von dem Fahrlehrer. Er bittet mich, die Fahrstunde früher stattfinden zu lassen als geplant. Als ich bei ihm einsteige, sage ich dem Fahrlehrer, dass er ja von Glück reden könne, dass ich es rechtzeitig geschafft habe, unseren Termin wahrzunehmen, ich saß bis eben in meiner Badewanne. Er sagt: "Da hättest du ja mal ein Selfie schicken können."
[…]
Ich: "Das ist aber arschkalt heute."
Er: "Komm mal hoch."
Ich: "Was denn?"
Er: "Ich wollte mal unter deinen Arsch fassen, ob er schon kalt ist."
[…]
Ich: "Ich habe etwas Angst vor der Prüfung morgen."
Er: "Ich schlafe heute bei dir, dann geht es dir morgen besser."
"Ich habe geweint wie noch nie zuvor"
In Foren erzählen Dutzende junge Frauen von "unabsichtlichen Berührungen", sie fragen: "Ist das normal?"
Auch bei VICE: Der Vergewaltigungs-Prediger
In Foren erzählen Dutzende junge Frauen von vermeintlich "unabsichtlichen Berührungen", von Kosenamen wie "Hase", "Mäuschen", "Baby", "Schnecke" oder "Schatz"; sie fragen: "Ist das normal?", "Macht mein Fahrlehrer mich an?" oder "Ist das schon sexuelle Belästigung?". Sie schildern: Berührungen am Oberschenkel, seine Hand auf der Hand der Fahrschülerin beim Schalten, der Arm über der Lehne beim Ausparken, der dann bis zur Schulter der Schülerin wandert; anzügliche Bemerkungen wie "du riechst Bombe" oder "beweg deinen kleinen Po" bis hin zu indirekten oder direkten Fragen nach Sex. Nur sehr wenige Userinnen schreiben, sie fänden die Sprüche und Berührungen gut. Die meisten schreiben, es sei ihnen unangenehm, einige sagen sogar, sie hätten Angst vor den Fahrstunden. Marie sagt: "Ich habe nie Nein gesagt. Ich dachte, ich muss das hinnehmen, weil alle das hinnehmen."
Warum nur wenige Fälle vor Gericht landen
"Was ist, wenn der Typ sich rächt?"
Auch Maries Freunde und ihre Familie sind besorgt. "Was ist, wenn der Typ sich rächt?", fragt ihre Oma.
In einem Urteil heißt es: "Der Fahrlehrer habe seine Hände absichtlich seitlich an ihren Brüsten bewegt"
Ein Fahrlehrer aus Heilbronn hatte Sex mit einer 15-Jährigen und urinierte ihr danach in den Mund
Zu einer anderen Fahrschülerin soll er gesagt haben: "Nimmst du eigentlich viel, wenn du auf den Strich gehst?"
"Bei sexueller Belästigung ist die Dunkelziffer hoch"
Sie setzt sich nach dem Anruf auf ihr Bett und ruft ihre Freundin an, erinnert sich Marie. Kurz darauf muss sie sich übergeben."Marie, kannst du mir mal verraten, was ich dir getan habe, dass du so eklige Nachrichten über mich verbreitest?"
Ich beziehe kurz Stellung […] und erkläre ihm, dass ich sein Verhalten hochgradig unprofessionell fand.
Er: "[…] Das habe ich im Leben nicht gesagt und das gehört auch nicht in die Öffentlichkeit! […] Sonst kann ich den Leuten ja mal erzählen, was ich über dich weiß."
Ich frage: "Was willst du den Leuten denn erzählen?"
Er antwortet: "Na, das sage ich dir doch nicht. […] Wenn du damit nicht aufhörst, steht bald mal ein blau-weißes Auto vor deiner Tür." (Sein Auto ist blau-weiß.)
Ca. zwei Stunden später rief er erneut an und teilte mir in einem sehr aggressiven Ton mit: "Jetzt nochmal, dass da ein krankes Hirn hintersteckt, ist mir schon klar. Wenn ich noch einen Windzug höre, leite ich das alles an meinen Anwalt weiter."
Maries Fahrlehrer sagt: "Das ist unglaublich. Das ist völlig haltlos."
Die Stadt Braunschweig droht Marie, ihr den Führerschein wegzunehmen
Kurz gesagt: Die Stadt Braunschweig droht Marie, ihr den Führerschein wegzunehmen, wenn sie sich weiter öffentlich wehrt. "Es fühlte sich an, als würde mir die Stadt in den Rücken fallen", sagt Marie.Der zweite Brief kommt von den Anwälten des Fahrlehrers: eine Unterlassungserklärung. Marie nimmt sich daraufhin selbst eine Anwältin, Gabriele Krüger, Fachanwältin für Familienrecht und Opfervertretung. Krüger rät ihr, die Unterlassungserklärung nicht zu unterzeichnen. Den Fahrlehrer anzuzeigen, hätte aber nichts gebracht, sagt die Anwältin heute: "Was er getan hat, fühlt sich für jemanden, der behütet aufgewachsen ist, nach sexueller Belästigung an. Der Typ ist ein Macho, er ist ein [mit dem Wort will sie nicht zitiert werden], aber strafrechtlich reicht das nicht."Am 14. September 2016 bekommt Marie Post von der Polizei: Ihr Fahrlehrer hat sie wegen Verleumdung angezeigt. Er behauptet, Marie würde herumerzählen, er habe ihr an die Brust gefasst.Maries Anwältin antwortet der Staatsanwaltschaft, dass er ihre Brust angefasst hat, habe Marie nie gesagt. Auf vier Seiten schildert sie Maries tatsächliche Erinnerungen: Sprüche über gemeinsame Nächte, ihren "kleinen Arsch", das ständige "Mäuschen" und "Häschen". Die Anwältin schreibt: Falls "im Wege der 'Stillen Post' Gerüchte entstanden sind, so ist das nicht auf das Verschulden der Beschuldigten zurückzuführen". Nur vier Tage nachdem sie dieses Schreiben abschickt, stellt die Staatsanwaltschaft Braunschweig das Ermittlungsverfahren gegen Marie ein."In meiner Funktion als Fahrlehrer- und Fahrschulaufsicht ist mir bekannt geworden, dass Sie […] Herrn [Name gelöscht] massiv in Misskredit bringen bzw. der sexuellen Belästigung beschuldigen. […] Ich habe aufgrund dieser schwerwiegenden falschen Behauptungen Herrn [Name gelöscht] geraten, Strafanzeige wegen Verleumdung und Rufmord gegen Sie zu stellen […]. Sollte es zu einer Verurteilung Ihrerseits kommen, werde ich prüfen, ob ich eignungsüberprüfende Maßnahmen gemäß § 11 Abs. 2 S. 1 Fahrerlaubnisverordnung gegen Sie einleiten muss."