Auf unbestimmte Zeit eingesperrt: Der "Maßnahmenvollzug" in Österreich
Im Gespräch mit dem ehemaligen Insassen Christian. Foto von Julia Dragosits.

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Maßnahmenvollzug

Auf unbestimmte Zeit eingesperrt: Der "Maßnahmenvollzug" in Österreich

"Es gibt Fälle, bei denen jemand mit 16 eine gefährliche Drohung begangen hat, in die 'Maßnahme' gekommen ist und erst mit 35 wieder rauskommt. Dafür ist sie nicht gedacht."

Simon* zeigt uns die Bilder, die er im Maßnahmenvollzug und davor in der Psychiatrie gezeichnet hat. Sie zeigen Zentauren und Engel, Männer mit muskulösen Oberkörpern, die miteinander kämpfen. Wenn er seine Gedanken so verarbeite, könne er auch einmal Dinge denken, die er nicht sagen dürfe. Auf dem Schreibtisch liegen vier Bücher, die er selbst geschrieben hat. Es ist immer dasselbe Buch, aber er hat drei Kopien vom Original angefertigt. Er habe ja Zeit in der Maßnahme. Eine der Kopien gibt er uns mit. Therapie. Der Weg zur Verständlichkeit, steht vorne geschrieben. Im Inneren finden sich Kapitel mit Titeln wie: "Du sollst nicht töten" oder: "der Erlöser".

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Er habe seine Exfreundin bedroht und einen Polizisten mit einem Darts-Pfeil verletzt. Außerdem Diebstahl und noch ein paar andere Delikte. Simon ist in Asten untergebracht, einer Low-Security-Anstalt. Das heißt, er ist bereits weniger gefährlich als zum Zeitpunkt seiner Einweisung.

Die Maßnahme ist im Gegensatz zur normalen Haft zeitlich unbegrenzt, das heißt: Während Haftinsassen bei einer Strafe von drei Jahren auch nach spätestens drei Jahren entlassen werden, kann die Anhaltung im Maßnahmenvollzug ein Leben lang dauern. Es ist wie die moderne österreichische Version von Einer flog über das Kuckucksnest, wo Randle Patrick McMurphy (gespielt von Jack Nicholson) seine Überstellung in eine psychiatrische Klinik zuerst feiert, bis er erfährt, dass seine Haftstrafe damit auch unbegrenzt verlängert werden kann.

Das Prinzip wird immer wieder kritisiert. Denn obwohl eine Anhaltung bei einigen Insassen vermutlich notwendig ist, werden viele auch einfach aus anderen Gründen nicht entlassen – nicht, weil sie eine Strafe abzusitzen haben, sondern einfach präventiv. Man kommt leicht in den Maßnahmenvollzug, aber nur sehr schwer wieder raus.

"Es gibt Fälle, bei denen jemand mit 16 eine gefährliche Drohung begangen hat, in die Maßnahme gekommen ist und erst mit 35 wieder rauskommt. Dafür ist sie nicht gedacht."

Das erzählt auch der Anwalt Helmut Graupner im Interview für das Buch Das Volk will es so : "Vor 30 Jahren waren rund 300 Menschen in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angehalten. Heute sind es an die 1000. Aber nicht, weil so viel es mehr abnorme Menschen gibt, sondern weil die Gerichte strenger geworden sind und das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung gestiegen ist."

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Viele der Maßnahmen-Insassen müssten nicht in der Maßnahme sein. "Für die gravierendsten Fälle ist die Maßnahme natürlich notwendig – auf die sollte sie aber auch beschränkt werden", erklärt Graupner. Die Maßnahme sei nicht für Bagatelldelikte wie gefährliche Drohung da. "Es gibt Fälle, bei denen jemand mit 16 eine gefährliche Drohung begangen hat, in die Maßnahme gekommen ist und erst mit 35 wieder rauskommt. Dafür ist sie nicht gedacht."

Foto aus der Justizanstalt Wien-Mittersteig. Foto von Julia Dragosits.

Eine Reform, die von Justizminister und nun auch Vizekanzler Brandstetter schon vor Jahren angekündigt wurde, lässt weiter auf sich warten. Anlass war ein vom Falter aufgedeckter Fall eines Insassen der Justizanstalt Stein, der so lange unbeaufsichtigt in seiner Zelle festgehalten wurde, bis seine Füße zu verwesen begannen.

Um einen Einblick zu bekommen, sind wir nach Asten bei Linz gefahren, um dort das sogenannte Forensische Zentrum zu besuchen. Asten gilt österreichweit als Vorzeige-Anstalt. Die Insassen werden hier Klienten genannt und können sich frei bewegen. In den Gängen sieht man keine Sicherheitsbeamten. Hier wird auf Therapie statt Strafe gesetzt – die Ursprüngliche Idee des Maßnahmenvollzugs.

Wir haben dort mit dem Leiter, Martin Kitzberger, und mehren der Klienten gesprochen, um auch denen, die mit dem Maßnahmenvollzug und "geistig abnormen Rechtsbrechern" ausschließlich Menschen wie Josef Fritzl verbinden, die Welt hinter den Mauern zu zeigen.

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Hier unser Video über Maßnahmenvollzug in Österreich: