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Stark gespielt

Der Social-Media-Guru aus der Oberliga mit dem trockenen Humor

RW Ahlen spielt zwar nur noch Oberliga, doch ihr Facebook-Auftritt hat Champions-League-Niveau. Wir sprachen mit ihrem Kommunikationsboss über westfälischen Humor, geplatzte Star-Transfers und eine Einladung ins Legoland.
Foto: Dominik Sliskovic

Einige können sich vielleicht noch dran erinnern - Ahlen stand einst vor dem Aufstieg in die Bundesliga. 2001 war das, als der Verein noch vom Mäzen Helmut Spikker geführt und nach dessen ortsansässigem Kosmetikunternehmen LR Ahlen benannt war. Damals sah Marco Stiemke sein erstes Spiel im Wersestadion und verlor sein Herz an die Rot-Weißen. Fünf Jahre später ließ Geldgeber und Zampano Spikker den Club fallen und nie wieder von sich hören. Darauf folgte die Umfirmierung, der zwischenzeitliche Zweitliga-Aufstieg mit den beiden in Ahlen ausgebildeten Talenten Marco Reus und Kevin Großkreutz – und das Insolvenzverfahren, das dem Traum von Bundesliga-Fußball im Münsterland ein jähes Ende bereitete. Marco Stiemke jedoch blieb RWA treu. Der Verein wurde schnell auf ihn aufmerksam. Er hatte sich jahrelang im Fan-Forum mit eigenen Spielberichten und Spieler-Interviews eingebracht, dann bot ihm der Verein einen Job an. Heute arbeitet der 26-Jährige als „Leiter Medien & Kommunikation" bei den Ahlenern tätig und ist damit auch für den Facebook-Auftritt des Clubs verantwortlich, der in den vergangenen Monaten durch absurde Transferangebote, lustige Nachrichtenverläufe und bissige Spitzen für Aufmerksamkeit sorgte. Wir sprachen mit Marco über Social-Media-Konzepte, Selbstironie und Tipps für Bundesligisten.

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VICE Sports: Durch lustige Aktionen wie das Transferangebot Richtung Adnan Januzaj oder die Spitze gegen die FIFA-WM-Erweiterung mit der herbeifantasierten Todesgruppe um Äquatorialguinea und Legoland sticht Ahlen bei Facebook immer wieder heraus. Ist das Teil eines größeren Konzepts?
Marco Stiemke: Wir nehmen nicht alles so ernst – vor allem uns selbst nicht. Meistens ist es so, dass die Spontanität siegt. Wenn mein Kollege Michael Bieckmann, mit dem ich die Facebook-Seite betreue, oder ich einen Einfall habe, dann wird in die Tastatur gehauen. Von Legoland haben wir kürzlich das Angebot bekommen, dass für alle Kinder und Eltern Freikarten bereitliegen, sollte unsere Jugendmannschaften in Süddeutschland weilen oder wir für sie eine Abschlussfahrt organisieren. Das sind die kleinen Erfolge, die wir dann zu schätzen wissen.

Schon nach 14 Stunden wurde der Post fast 3.000 Mal geliket. Screenshot: Facebook/TM

Euren Januzaj-Coup griffen sogar große britische Medien auf.
Damit habe auch ich nicht gerechnet, dass wir mit einem Facebook-Post von Rot-Weiß Ahlen es bis in die oberste Liga der britischen Medien schaffen. Dort wurde es für eine ernsthafte Meldung gehalten. Die dachten wohl, wir sind ein stinkreicher und ambitionierter Viertligist, der das alles ernst meint.

Wie reagiert die Vereinsführung darauf, wenn solche Coups voll aufgehen?
Da gibt es den ein oder anderen Schulterklopfer – im Gegensatz zu Prämien, die gab es bis heute noch nicht (grinst).

Noch mehr gute Social-Media-Arbeit: Die zehn lustigsten Tweets von Rot-Weiß Oberhausen

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Euer „Kummerkasten", in dem ihr absurde Fan-Nachrichten sammelt, hat für viele Lacher gesorgt, jedoch auch einige Anhänger blöde dastehen lassen. Hattet ihr nicht Angst, den Bogen zu überspannen?
Die Leute, die uns folgen, kennen ja unsere Art. Wir haben diese Nachrichten über Jahre gesammelt und uns irgendwann gedacht: Das ist zu schade, wenn man die nicht irgendwann einmal veröffentlicht. Wir wollten den Leuten zeigen, womit wir uns tagtäglich rumschlagen.

Eine der Kummerkasten-Perlen von Rot Weiss Ahlen

Wie reagieren Fans auf eure Aktionen? Fürchtet der ein oder andere Anhänger, dass Ahlen zu einem Karnevalsverein verkommt?
Für viele sind wir bis heute eine graue Maus. Wenn es uns durch unsere Arbeit gelingt, dieser grauen Maus ein paar Farbtupfer zu verleihen, dann ist doch alles gut. Unser Umfeld ist sehr internetaffin und nimmt solche Aktionen super auf. Die Fans wissen es wirklich zu schätzen, dass wir ihren Verein auf diese Art nach außen repräsentieren.

Ihr könnt nicht nur witzig, sondern auch ernst. Im Abstiegskampf habt ihr euch mit einem emotionalen Kommentar an alle Ahlener gewandt, die in den schweren Zeiten den Weg ins Wersestadion nicht finden. Seht ihr es als eure Aufgabe an, die Stadt und die Region für RWA zu sensibilisieren?
Die Zuschauerzahlen sind generell ein Problem. Wenn die Regionalliga samstags 14 Uhr spielt, 15:30 Uhr Bundesliga beginnt und Bayern, Schalke und Dortmund spielen, dann ist es schwierig, die Menschen zu uns ins Stadion zu locken. Die meisten Leute in Ahlen haben einen Zweitverein und überlegen sich, was sie samstags machen: Gehe ich Regionalliga gucken oder schaue ich Bundesliga? Wir versuchen auf diese Problematik aufmerksam zu machen und die Leute für den Verein zu begeistern. Wenn wir von 100 Leuten zwei erreichen können, die wieder das Stadion besuchen, dann haben wir schon viel geschafft.

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Gab es schon Transfergerüchte um deine Person?
Nein, bis heute nicht. Ich weiß, dass unsere Arbeit wahrgenommen wird. Wir erhalten Lob von Seiten anderer Vereine, es kommt vor, dass ich am Spieltag auf unseren Online-Auftritt angesprochen werde, aber konkrete Anfragen waren noch nicht dabei.

Könntest du dir denn prinzipiell einen Wechsel vorstellen? Die Social-Media-Kanäle der Bayern oder des BVB zu betreuen, wäre doch sicher reizvoll.
Ich glaube, von Bayern bin ich noch weit entfernt. Da brauchst du sicher 20 verschiedene Abschlüsse und musst eine Palette an Diplomen vorweisen, um überhaupt eine Chance auf den Job zu haben. Als ich in Ahlen angefangen habe, war es noch Zweitligazeit. Ich weiß, wie es ist, im Profifußball zu arbeiten. Das hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht. Eine Rückkehr dahin kann ich mir sehr gut vorstellen. Wenn eine Anfrage käme, würde ich mir sicherlich meine Gedanken machen.

Aus deiner Sicht: Welcher Bundesligist kann euch bei Facebook und Co. das Wasser reichen?
Ich weiß nicht, ob die Frage nicht lauten sollte, welchem Bundesligisten wir das Wasser reichen können (lacht). Mir gefällt richtig gut, wie es der 1. FC Köln macht. Überragend, wie sie genau den Nerv der Leute treffen. Die Kölner schaffen es, diese humorige Linie durchzuziehen und dabei immer wieder auch Trainer Peter Stöger und die Spieler miteinzubeziehen. Die schaffen es, wirklich nah dran zu sein an den Fans. Das wirkt nie von oben herab, sondern immer auf Augenhöhe.

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Viele Vereine haben ihr Social-Media-Portfolio erweitert. Die ersten Bundesligisten findet man nun auch bei Snapchat. Ist das etwas, was ihr euch auch vorstellen könntet?
Es kommt immer darauf an, wie wir das mit zwei Mitarbeitern realisiert bekommen. Möglichkeiten gibt es viele und wir wollen auch am liebsten viel machen, aber es ist unter dem Strich kaum machbar in unserer Situation. Wenn ich mir anschaue, dass wir das zu zweit mehr hobbymäßig als beruflich stemmen, aber Vereine wie Rot-Weiß Oberhausen, deren hervorragenden Social-Media-Auftritt ich explizit loben möchte, zu uns ins Wersestadion kommen und sich mit sieben Mitarbeitern nur für Presse und Medien anmelden. Dann überlege ich mir schon, was wir hier alles machen könnten, wenn ich noch fünf weitere Kollegen hätte.


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Wir hatten lange Zeit RWA.tv, haben dort unsere eigenen Spielberichte samt Interviews produziert, aber dann hatte der Kollege, der gefilmt und geschnitten hat, keine Zeit mehr – und damit fingen die Probleme an. Die meisten Leute, die sich dann angeboten haben, hielten erst einmal die Hand auf und fragten, „Was krieg' ich denn dafür?", und dann hieß es von unserer Seite, „Naja, nichts." Deswegen setzen wir lieber auf Qualität statt Quantität und konzentrieren uns voll auf unseren Facebook-Kanal. Scheinbar machen wir da irgendwas richtig, denn es ist nicht selbstverständlich, dass ein Verein die komplette Saison gegen den Abstieg kämpft, die Zugriffszahlen auf seine Online-Auftritte aber kontinuierlich nach oben steigen.

Was können Bundesligisten von RWAs Internet-Auftritt lernen?
Sich selbst nicht immer so ernst nehmen. Fußball ist heutzutage zu 99 Prozent Business, aber es bleibt unterm Strich eben doch nur ein Spiel. Man sollte immer sympathisch auftreten und da schaden etwas Humor und Selbstironie sicherlich nicht.