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the showman

The Cult: Ronaldinho

Fußballfans streiten sich gern darüber, wer der Beste ist–Ronaldo oder Messi. Klare Sache: Ronaldinho. Weil der Showman mit der verspielten Art etwas ausstrahlte, was La Pulga und CR7 fehlt: künstlerisch wertvolle Wärme.
Illustration by Dan Evans

Kult-Level: Der Showman

Messi oder Ronaldo. Dieser Streit wird jetzt schon seit gut einem Jahrzehnt ausgefochten. Wenn es um die nackten Zahlen geht–soll heißen: Titel, Tore und ‚Ballon d'Or'-Auszeichnungen–kann es keine zweite Meinung darüber geben, dass die beiden die wichtigsten Fußballer ihrer Generation sind. Vielleicht sogar aller Zeiten. Aber Fußball ist mehr als nur Zahlen.

Auch wenn ihr öffentliches Bild sehr unterschiedlich ist: Messi und Ronaldo eint derselbe Antrieb, dasselbe Verlangen, der Beste zu sein. Sie sind ein lebendes Monument für unermüdliche Professionalität und ein lebenslanges Streben nach Erfolg. Beide schießen Tore und brechen Rekorde nach Belieben, und treiben sich gegenseitig zu immer neuen Höhen von Produktivität und technischer Perfektion an. Doch hinter all dem Hochglanz-Äußeren scheint eine wichtige Komponente zu fehlen–eine Wärme und Menschlichkeit, die bei all ihren übermenschlichen Anstrengungen zu kurz kommt.

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Ronaldinho war anders–und das ist auch gut so. Seine Art, Fußball zu spielen, war geprägt von einer entwaffnenden Verspieltheit und Ausgelassenheit, die Messis leiser Zurückhaltung und Ronaldos posierender Ernsthaftigkeit die Show stiehlt. Trotz all ihrer unglaublichen Errungenschaften werden sie niemals für so viel Leidenschaft sorgen wie Ronaldinho. Die leidige Debatte, wer von beiden der Bessere ist, wird allein durch Logik und Vernunft nicht entschieden werden können. Am Ende sind es die (fußball-)romantischen und nicht in Zahlen ausdrückbaren Elemente, die uns in den Bann ziehen. Und in diesem Punkt zieht Ronaldinho beide ab.

Den Brasilianer spielen zu sehen, war eine Freude für die Augen. Er war besser als jeder Kinofilm–und war in meinen Jahren als Teenager der mit Abstand beste Fußballer der Welt. Während meine Freunde damals andere Filmchen bevorzugten, ging ich auf Compilations seiner neuesten Kunststücke ab.

2005 verblüffte ein Video von Ronaldinho die Menschen, in dem er nach Belieben die Latte traf (auch wenn manche die Authentizität des Videos anzweifeln). Es war das erste Video, das auf YouTube mehr als eine Million Mal geklickt wurde. Im selben Jahr grüßte er vom „FIFA Street"-Cover, seiner brillanten Technik sei Dank.

Ronaldinho war eine One-Man-Highlight-Fabrik, ein geborener Freestyler. Doch er war eben nicht nur Show, sondern auch eine Menge Substanz.

Einstiegspunkt: Superstar

Man kann behaupten, dass es Ronaldinho war, der Barcelona zu dem modernen, alles gewinnenden Koloss gemacht hat, für den sie noch heute stehen. Bei seiner Ankunft im Sommer 2003–als Königstransfer des neugewählten Präsidenten Joan Laporta–hatte der Verein die Vorsaison auf einem bescheidenen sechsten Platz beendet, so schlecht wie 15 Jahre nicht mehr. Seit der Jahrtausendwende war kein Titel mehr gewonnen worden.

Das Barcelona, dem sich Ronaldinho anschloss, war natürlich noch immer ein großer Name, aber eben auch einer, der in einer tiefen Identitätskrise steckte. Nicht in der Champions League vertreten, fehlendes Selbstbewusstsein und Unruhe an allen Ecken, der katalanische Club brauchte dringend eine neue zentrale Figur. Dann schlenderte Ronaldinho ins Bild. Ein unsagbar talentierter Fußballer, der aber aufgrund seiner Trainingseinstellung kaum der geeignete Kandidat zu sein schien, um eine Dynastie um sich herum aufzubauen.

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Auch wenn er kurz zuvor die WM mit Brasilien gewonnen hatte, als Junior-Partner neben Ronaldo und Rivaldo, galt er als unzuverlässig. Bei seinem vorigen Verein Paris St-Germain hatte er neben dem Spielfeld regelmäßig für Negativschlagzeilen gesorgt. Das breite Grinsen und die schelmische Persönlichkeit waren schon immer Teil von Ronaldinhos Reiz, aber die fehlende Konzentration hatte seinen PSG-Trainer Luis Fernandez zuletzt zunehmend genervt und sich auch negativ auf seine Leistungen ausgewirkt. Er riskierte, zu einem neuen Denilson zu verkommen–ein gescheiterter Nonkonformist, der zwar ein Ballkünstler war, aber unter dem Strich viel zu wenig aus seinem Talent rausgeholt hatte.

Doch Ronaldinhos Ankunft im Camp Nou sollte sich als Erfrischungskur und Segen für den ganzen Verein entpuppen. In den vorangegangenen Jahren hatte Barcelona so einige Spieler und Trainer verschlissen. Mit Frank Rijkaard als Trainer und Ronaldinho als Star und Dreh- und Angelpunkt der Mannschaft sollten die Katalanen in den folgenden fünf Jahren zweimal die nationale Meisterschaft, einmal die Champions League und zweimal den spanischen Super Cup gewinnen. Ronaldinhos Ankunft war gleichbedeutend mit der Wiederkehr von einer Aura der Unbesiegbarkeit, die Barcelona bis heute umgibt.

In dieser Zeit wurde die Offensive–die abwechselnd von Deco, Samuel Eto'o, Henrik Larsson und Ludovic Giuly sowie einem aufstrebenden Lionel Messi besetzt war–vom Dirigenten Ronaldinho meisterlich in Szene gesetzt. Er erkannte Spieleröffnungen wie kein Zweiter und schoss nebenbei das eine oder andere spektakuläre Tor.

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Sei es sein Sahnetreffer aus dem Stand gegen Chelsea, sein Fallrückzieher gegen Atlético oder seine selbstentwickelten artistischen Kunststücke gegen Villarreal und Osasuna: Ronaldinho drückte Barcelona seinen künstlerisch wertvollen Stempel auf. Auch als gewiefter Freistoßschütze machte er sich einen Namen, wie Fans von Werder Bremen vielleicht noch wissen. (Ja, es gab eine Zeit, in der Werder Bremen Champions League spielte. Kurz nachdem die Dinosaurier ausgestorben waren.)

Ronaldinho ließ den Ball für sein und unser Vergnügen tanzen, blamierte seine Gegenspieler mit seiner unnachahmlichen Ballkontrolle und seinem perfekten Zeit- und Raumverständnis bis auf die Knochen. Er war einer der besten Vertreter des Elastico und No-Look-Passes. Er stand für Fußball, der Spaß macht…

Dass diese Art–verspielter Spieler–auf höchstem Niveau nicht mehr wirklich gerne gesehen war, musste auch Ronaldinho feststellen, als Pep Guardiola im Sommer 2007 Trainer bei den Katalanen wurde. Diejenigen, die nicht seinem Streben nach perfekter Kondition, die sein Hochintensitätsfußball abverlangte, Folge leisteten, wurden peu à peu aussortiert und auf dem Altar des Kollektivs geopfert–egal wie talentiert sie waren.

Sein spontaner Individualismus wurde abgelöst von einer viel methodischeren und präskriptiven Weise, Fußball zu spielen–wie sie von Guardiola und seinen Schülern befohlen wurde. Ronaldinho und Guardiola standen für zwei sich diametral gegenüberstehende Ideologien und definierten zwei unterschiedliche Epochen beim FC Barcelona. Im Gegensatz zu Guardiolas unerbittlichem, alles erstickendem Dominanzfußball stand Ronaldinho für ein aufregendes Improvisationstheater. Beide waren erfolgreich, aber nur einer hat Spaß gemacht.

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Der Moment: Real Madrid 0, Barcelona 3

In der Saison 2005/06 war Ronaldinho–und damit auch sein Team, das so abhängig von ihm war–auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Dieses Spiel gegen den großen, ewigen Rivalen fiel in eine bedeutsame Serie von 14 La-Liga-Siegen in Folge, in denen Barça 38 Tore schoss und nur sechs Treffer kassierte. Mit anderen Worten überrollten sie die nationale Konkurrenz, darunter auch Real Madrid in ihrem Bernabeu.

Die Heimmannschaft hatte keine Geringeren als Zinedine Zidane, David Beckham, Ronaldo, Robinho und Raul in den eigenen Reihen. Doch der wahre Game-Changer und Star des Abends war Ronaldinho.

Nominell auf der linken Seite angesiedelt, hatte Ronaldinho die Lizenz zum Umherstreifen. Besonders von Michel Salgado wurde er im Spiel hart gedeckt. Doch nach ein paar Ballverlusten am Anfang fand der Barça-Star immer besser ins Spiel. Er spielte mit seinen Gegnern, bugsierte den Ball vor ihre Füße, um ihn dann doch wieder zu entwenden. Dazu kamen ein paar feine Pässe und trickreiche Streicheleinheiten mit dem Ball. Doch es war nicht mehr als ein Warm-up, ein Aufgalopp für das, was er in der zweiten Halbzeit zeigen sollte.

Barcelona ging dank Samuel Eto'o in Führung, bevor Ronaldinho mit zwei perfekt orchestrierten Toren den Sieg perfekt machte. Er bekam den Ball in der eigenen Hälfte und marschierte auf der linken Seite nach vorne, an Sergio Ramos vorbei, schüttelte dann noch Ivan Helguera ab, bevor er den Ball ins königliche Tor beförderte. Iker Casillas gestikulierte frustriert. Ronaldinhos zweiter Treffer fiel kurz danach, als er erneut an Ramos vorbeigezogen war und den Ball in der langen Ecke versenkt hatte. Das Publikum applaudierte dem Spieler des verhassten Rivalen.

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Kein Wunder: Ronaldinho hatte etwas, das stärker war als jede Rivalität. Er war unwiderstehlich und–für eine viel zu kurze Zeit–unangreifbar. Selbst der größte Fan gegnerischer Mannschaften konnte nicht anders, als Ronaldinhos Leistungen zu bewundern. Leistungen, die so schön waren wie sein gewinnendes Lächeln, während er seine Gegner vernichtete.

Einen Monat später wurde er verdientermaßen zum zweiten Mal in Folge zum Weltfußballer gewählt. Am Ende der Saison hatte er mit Barcelona die Meisterschaft und die Champions League gewonnen. Und das Team ein für alle Mal transformiert.

Schlusserklärung:

„Ronaldinho war für den Wandel bei Barça verantwortlich. Es war eine schlimme Zeit und der Wandel, den er einläutete, war bewundernswert. In seinem ersten Jahr hat er nichts gewonnen, aber die Leute haben sich in ihn verliebt. Dann kamen die Pokale und er machte die Leute so glücklich. Barça sollte ihm immer dankbar sein für alles, was er gemacht hat." – Lionel Messi

llustration: @Dan_Draws