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Napoli

Aurelio de Laurentiis—der cholerische Filmproduzent, der den SSC Neapel rettete

Der SSC Neapel steht an der Spitze der Serie A. Dabei stand Maradonas Ex-Verein noch vor wenigen Jahren am Abgrund. Doch dann übernahm De Laurentiis den Club. Der ist ein Meister kitschiger Weihnachtskomödien und ein eiserner Sparfuchs.
Foto: Imago

Es ist nicht lange her, da hat der SSC Neapel noch in der Serie C, der dritten italienischen Liga, gespielt. Vorausgegangen war, dass der Traditionsverein wegen zu hoher Schulden die Lizenz entzogen bekam und Konkurs anmelden musste. Wieder einmal sollte sich bewahrheiten: Wer in Neapel lebt, muss ein verdammt dickes Fell haben. Dabei gehört Fußball noch zu den sichersten und saubersten Dingen in der Stadt am Tyrrhenischen Meer. Das sieht auch Vereinspräsident Aurelio De Laurentiis so, der einst zu Protokoll gab: „Hier in Neapel funktioniert ein Scheißdreck! (…) In Neapel gibt es nur den Fußball, also seid dankbar!"

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Dankbar sind die Fans der Azzurri auf alle Fälle. Und das nicht nur wegen De Laurentiis' markiger Sprüche, sondern vor allem, weil ihr Verein zum ersten Mal seit über 25 Jahren wieder eine realistische Chance auf den Scudetto hat. Nach dem 24. Spieltag steht man mit 56 Punkten und einem Bomben-Torverhältnis (+34) auf dem ersten Platz, zwei Punkte vor der „alten Dame" aus Turin und ganze zehn Punkte vor dem Dritten, AC Florenz. Dass das vor allem der Verdienst ihres verrückten Vereinspräsidenten ist, darüber gibt es unter den Napoli-Fans keine zweite Meinung.

De Laurentiis passt zu Neapel wie die Faust aufs Auge: Ein bisschen Diva, eine schillernde Vergangenheit und eine ausgesprochen große Klappe. De Laurentiis ist Italiens erfolgreichster Filmproduzent (manch einer würde auch sagen: nervigster, seinen unsäglichen Weihnachtskomödien sei Dank), der lange Zeit in Hollywood gearbeitet hat und auch genau so in der Öffentlichkeit auftritt. Gleichzeitig passt er überhaupt nicht ins hochverschuldete Neapel. De Laurentiis steht nämlich für eine rigide Sparpolitik und bezeichnet sich selbst als den „Schweizer". Und das aus gutem Grund: Seit fast zehn Jahren schreibt Napoli schwarze Zahlen, obwohl längst wieder namhafte Spieler wie Gonzalo Higuain oder José Callejón beim Traditionsverein unter Vertrag stehen. Dabei war der Weg zurück an die Spitze der Serie A ein verdammt steiniger.

So sehen Retter aus. Foto: imago/Gribaudi

Als De Laurentiis den Verein 2004 übernahm, gab es den SSC auf dem Papier gar nicht mehr: Nach dem Konkurs hieß der neugegründete Verein „Napoli Soccer". Zwei Jahre später, mit dem Aufstieg in die Serie B, kaufte De Laurentiis die Namensrechte und damit auch die Vereinsgeschichte zurück. Und nur sieben Jahre nach seiner Übernahme spielte Napoli wieder in der Champions League. Geholfen haben dabei auch die extrem loyalen Fans des SSC Neapel. Im ersten Jahr in der dritten Liga besuchten im Durchschnitt 37.000 Zuschauer das Stadio San Paolo, womit man nicht nur weit über dem Serie-C-Schnitt, sondern auch national an fünfter Stelle lag. Was ist also das Erfolgsrezept des Vereinspräsidenten De Laurentiis?

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Zu allererst muss man sagen: De Laurentiis ist beileibe kein gewöhnlicher Präsident. Was wohl daran liegt, dass er bis vor wenigen Jahren nicht viel mit Fußball am Hut hatte und aus dem Showbusiness kommt. Dort muss man schon mal die Ellbogen ausfahren, wenn man seine Filmprojekte durchboxen will. Und der SSC Neapel ist mittlerweile zu seinem wichtigsten Projekt, ja, zu seiner Lebensaufgabe geworden. Wenn es um sein Napoli geht, ist De Laurentiis bereit, sich mit jedem noch so mächtigen Gegner anzulegen. Wenn es um sein Napoli geht, schießt er—wenn nötig auch deutlich—über das Ziel hinaus. Trotz seiner vielen Jahre im Ausland habe er „die Liebe zu Neapel nie verloren", wie er mal der italienischen Tageszeitung Il Mattino verriet.

Eines der cineastischen „Kunstwerke" von de Laurentiis: Ein Mafiaboss will wie DiCaprio aussehen, hat aber die Rechnung ohne seine beiden begriffsstutzigen Schönheitschirurgen gemacht.

De Laurentiis brodelt mindestens genauso stark wie Neapels Hausvulkan, der Vesuv—nur dass er deutlich häufiger ausbricht.Manchmal weiß man nicht genau, ob er schon wirklich in seiner Rolle als Vereinspräsident angekommen ist. Dass in seinem Herzen auf alle Fälle noch immer eine Showbiz-Persönlichkeit schlummert, stellt er immer wieder mal unter Beweis. Besonders schön ist eine Anekdote aus dem Jahr 2011. In Mailand wurde den Klubpräsidenten der neue Serie-A-Spielkalender vorgestellt. Da musste De Laurentiis feststellen, dass Napoli nur wenige Tage nach seinem Debüt in der Champions League gegen den AC Milan antreten sollte. Für De Laurentiis ein klarer Affront gegen seinen Verein, zumal er zuvor noch vom italienischen Verband gefordert hatte, bei der Spielplanung auf die Europapokal-Teilnehmer Rücksicht zu nehmen. Also verließ er theatralisch echauffiert die Präsidentenversammlung. Vorher beschimpfte er aber noch—Safety first—die Anwesenden als Merda, kündigte seine Rückkehr ins Filmgeschäft an und meinte mit einer starken Klimax: „Ich schäme mich, Italiener zu sein."

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Dass beim SSC in so kurzer Zeit so viel passieren konnte, liegt auch daran, dass Signor Presidente von flachen Hierarchien verdammt wenig hält. Außerdem kämpft er stets um die Stars seiner Mannschaft und behält sie—trotz lukrativer Angebote—länger als andere Vereine. Klar, mittlerweile spielen frühere Napoli-Aushängeschilder wie Cavani oder Lavezzi im Ausland (beide bei PSG), aber der Präsident hatte seine Spitzenspieler erst nach drei bzw. fünf erfolgreichen Saisons bei den Azzurri ziehen lassen. Und ein Klassemann wie Hamšík spielt bis heute in Neapel. Und wenn er verkauft, macht er immer ein super Geschäft. So wurde Cavani einst für 17 Millionen von Palermo gekauft und 2013 für 64,5 Millionen an die neureichen Pariser verkauft. Ähnliches gilt für Lavezzi, der für sechs Millionen vom argentinischen Verein San Lorenzo verpflichtet wurde, bis er für fast 27 Millionen an die Seine wechselte. Es sind genau diese Transfererlöse, die einen der Grundpfeiler von Neapels neuer Wirtschaftlichkeit darstellen. Ein ähnlich gutes Geschäft deutet sich auch schon wieder bei Higuain an (vorausgesetzt, man wird ihn überhaupt ziehen lassen). Der hat zwar stolze 38 Millionen Ablöse gekostet, sein auf 55 Millionen taxierter Marktwert scheint aber fast noch eine konservative Schätzung zu sein. Denn aktuell trifft der argentinische Nationalspieler nach Belieben—in 24 Saisonspielen kam er auf sagenhafte 24 Tore. Kein Stürmer in den europäischen Topligen hat mehr Buden gemacht. Kein Wunder, dass er bei Karl-Heinz Rumenigge und den Bayern ganz hoch im Kurs steht.

Ein weiterer entscheidender Baustein im Erfolgsrezept von De Laurentiis ist der aktuelle Trainer, Maurizio Sarri. Hier hat der Präsident vor allem eines bewiesen: Mumm. Denn im Gegensatz zu seinem Vorgänger Rafael Benítez war Sarri ein weitestgehend unbeschriebenes Blatt, als er im letzten Jahr als neuer Cheftrainer vorgestellt wurde. Klar, unter Benítez hatte man zwar zweimal in Folge die Qualifikation für die CL-Gruppenphase vergeigt, dafür war der Trainer ein Mann von Welt, der schon Champions League und Europa League gewonnen hatte. Dass sein Nachfolger als Highlight im Lebenslauf nur den Aufstieg und Klassenerhalt mit dem FC Empoli vorzuweisen hatte, war den ambitionierten Napoli-Fans nicht genug. Mittlerweile gilt der Coach als echter Erfolgsgarant. Er krempelte die Taktik um, ließ ein offensives 4-3-3 spielen und setzte so seine schnellen Außenstürmer Lorenzo Insigne und José Callejon noch mehr in Szene. Der schöne Angriffsfußball, für den Napoli wieder steht, erinnert an die goldene Ära des Vereins Ende der 80er mit einem gewissen Diego Armando Maradona. Und dann gibt es da noch eine weitere Übereinstimmung.

Denn die letzte Napoli-Mannschaft, die den Titel holen konnte (1990), wurde ebenfalls von einem italienischen Trainer mit eher bescheidenem Lebenslauf gecoacht: Alberto Bigon. Der hatte vor seinem Einstand bei Neapel als Karrierehöhepunkt den Serie-A-Underdog Cesena trainiert. Und auch damals war der Superstar der Mannschaft mit Maradona ein Argentinier.

Die erste richtige Feuerprobe steht am Samstag an: beim Auswärtsspiel in Turin. Sollte Sarris Elf auch Juve schlagen, wäre ein großer Schritt Richtung Scudetto-Coup getan.