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Kobe Bryant

Der Leidensweg des gefallenen Kriegers Kobe Bryant

Die „Black Mamba” hat schon immer Kriege gefochten: Gegen seine Mitspieler, gegen das Erbe von Michael Jordan und jetzt, mit 36 Jahren, gegen die Vorstellung, dass sein Körper nicht mehr mitmacht.
Foto: USA TODAY

Es gibt in der Ilias eine Szene, in der Achilles, der große griechische Kämpfer, endlich Hektor, dem Anführer des trojanischen Heers, gegenübersteht. Hektor hat zuvor schon Achilles' guten Freund Patroclus umgebracht und jetzt ist Achilles auf Rache aus. Doch Hektor ist anscheinend nicht in Kampfstimmung, denn Achilles muss ihn gleich dreimal um die Stadtmauern Trojas jagen, bis sich Hektor endlich auf ein Duell einlassen will.

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Dann geht Hektor auf Achilles los, doch da er sich bei seinem Versuch ziemlich ungeschickt anstellt, muss er schon bald einer sicheren Niederlage ins Auge blicken. Also macht er das einzig Logische: Sterbend bittet er Achilles um ein würdevolles Ende: Sein Leichnam soll seiner Familie—und wichtig: als Ganzes—übergeben werden. Doch der vor Wut immer noch schäumende Achilles hat für Gnade—zumindest anfangs—so rein gar nichts übrig und antwortet:

„„Nicht beschwöre mich, Hund, bei meinen Knien, und den Eltern! Dass doch Zorn und Wut mich erbitterte, roh zu verschlingen dein zerschnittenes Fleisch, für das Unheil, das du mir brachtest!"

So würde man im 21. Jahrhundert wohl niemanden mehr zusammenstauchen, andererseits muss man nicht allzu viel Phantasie aufbringen, um sich vorzustellen, wie Kobe Bryant einen armen Gegenspieler mit ähnlichen Worten—wenn auch in einem zeitgenössischen Sprachgewand—so richtig zur Schnecke macht. Und in der Vergangenheit—vor allem in der jüngeren—hätte Kobe wohl am liebsten genau das mit vielen Verteidigern gemacht, was der Sage nach Achilles mit Hektor gemacht hat: ihn töten, seinen Leichnam an einen Streitwagen binden und diesen dann um die Stadtmauern von Troja (OK, vielleicht auch die von Portland) schleifen.

In der Ilias ist die kaum zu bändigende Wut des Achilles seine größte Stärke und gleichzeitig seine größte Schwäche (bzw. seine zweitgrößte, aber darauf kommen wir später zu sprechen) Seine Raserei macht ihn zum tapfersten, stärksten und gefährlichsten Soldaten. Sie bedeutet aber auch Schmerz und Zerstörung für seine Mitmenschen. Kommt dir irgendwie bekannt vor?

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Ich vergleiche NBA-Spieler nicht allzu oft mit Figuren der griechischen Mythologie. Doch um das Wesen von Kobe Bryant besser zu verstehen, muss man sich einfach auf eine Reise durch die Tiefen der Menschheitsgeschichte begeben. Ende Januar hat sich Kobe einen Riss der Rotatorenmanschette in der rechten Schulter zugezogen und musste sich deswegen einer Operation unterziehen. Und die Lakers mussten dann das offiziell verkünden, was schon Tage zuvor klar war: Für ihn ist die Saison vorzeitig beendet.

Foto von Brace Hemmelgarn—USA TODAY Sports

Die Verletzung hat sich Kobe bei einem scheinbar harmlosen Dunk im Spiel gegen die Pelicans aus New Orleans zugefügt. Doch in seinem Alter (mit 36 Jahren ist Kobe für Basketballspieler fast schon so ein alter Knochen wie Achilles) gibt es keine harmlosen Aktionen mehr. Doch Kobe ist halt Kobe, also ist er nur ein paar Minuten später auf den Court zurückkehrt, hat noch ein paar wilde Würfe genommen, um allen seine heroischen Kräfte unter die Nase zu reiben, bevor sein Arbeitstag dann schließlich doch vorzeitig zu Ende war. Und das alles, obwohl schon lange vor dem Spiel klar, dass die Saison der Lakers gelaufen war.

Was eine einfache, aber durchaus berichtigte Frage aufwirft, die immer wieder mal während seiner Lakers-Zeit aufgekommen ist: Warum das Ganze? Für einen Mann, dessen Ruf eng mit einer fast schon pathologischen Besessenheit, siegen zu müssen, verbunden ist, hat sein Engagement in der Stadt der Engel große Opfer—bei gleichzeitig geringer Belohnung (zumindest in der alles entscheidenden Währung der Meisterringe)—bedeutet. Eben ein bisschen so wie der trojanische Krieg. Denn auch der war ein tragisches, blutiges und schlussendlich auch sinnfreies Unterfangen, bei der es unterm Strich um eine (!) gut aussehende Frau ging. Auch die letzten Tage von Kobes Karriere erscheinen relativ sinnfrei. Er führt noch immer seine persönlichen Kleinkriege—aber wofür? Die meisten Lakers-Fans können ab und zu wenigstens noch auf ein paar Gratis-Tacos hoffen (wenn die Lakers ihren Gegner besiegen und unter 100 Punkten halten, winken Gutscheine für eine große amerikanische Fastfood-Kette). Und ab und zu gibt es sie noch, diese kurzen Augenblicke sportlicher Erhabenheit. Aber selbst die gehören jetzt der Vergangenheit an.

Warum kämpft er also immer weiter? Vielleicht weil Kobe einfach verdammt wütend ist. Die Wut, die ihn (an-)treibt, hat er nicht immer besonders pointiert eingesetzt. Doch sie hat gleichzeitig auch nichts Verbittertes. Vielleicht ist es einfach so, dass die Wut von Kobe Bryant—ganz so wie bei Achilles—etwas Angeborenes ist. Durch sie funktioniert er erst, sie macht ihn zu diesem großartigen Sportsmann, zu einem sicheren Hall of Famer in Spe. Erinnerst du dich noch an seine Rookie-Saison, als er in der zweiten Playoff-Runde in den entscheidenden Momenten des letzten Spiels gegen die Utah Jazz insgesamt vier Airballs (davon drei in Folge) warf? Airballs zu werfen macht keinen Spaß, doch du musst schon sehr viel Wut im Bauch haben, es immer und immer wieder zu probieren. Und selbst als dann die Bälle regelmäßig im Korb landeten, fehlte irgendwie der gewisse Spaßfaktor.

Mittlerweile sitzen seine Würfe wieder nicht mehr so häufig, wenn sie denn überhaupt abgefeuert werden können. Kobes Körper ist zur Zielfläche seiner eigenen Wut geworden. Er behandelt ihn wie ein altes Auto, aus dem man jeden Cent rausholen will, mit dem schneller und schneller fährt, auch wenn man weiß, dass die Kiste langsam auseinanderfällt, bis, ja bis sie schließlich ganz kaputt geht. Dieses Jahr war es die Schulter. Im letzten Jahr zwang ihn ein Bruch des seitlichen Schienbeinkopfs zur Pause. Und davor musste seine—wie sollte es auch anders sein—Achillesferse dran glauben.

Stell dir zu guter Letzt noch einmal Achilles vor. Stell dir vor, wie er im hohen Alter über das Mittelmeer segelt—stets auf der Suche nach neuen Gefechten und feindlichen Generälen, die seiner immensen Wut zum Opfer fallen sollen. Doch seine Reise wird zur Irrfahrt, denn es gibt einfach keine Kämpfe mehr. Der tödliche Pfeil hatte seine Ferse nicht ohne Grund getroffen. Das Schicksal wollte, dass er nicht weiterkämpft.