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Der HSV-Indianer kommt unter 5 Selfies nicht aus dem Stadion

Patrick Zaya Bacousse steht seit 30 Jahren bei Wind und Wetter in der Kurve. Immer dabei: seine Kutte. Die hat dem Halbiraner auch schon bei Skinheads geholfen.
Alle Fotos privat

Der HSV dümpelt diese Saison, wie gewohnt, am Ende der Tabelle rum. „Die machen mich fertig", stöhnt Patrick Zaya Bacousse ins Telefon. Der 43-Jährige ist besser bekannt als HSV-Indianer und steht seit 30 Jahren bei Wind und Wetter in der Nordkurve. Er nimmt niemanden mit ins Stadion außer seine Kutte, die so liebevoll bestickt ist wie von Oma selbst. Seit 16 Jahren näht und bastelt er an dem guten Stück. „Die erste musste wegen Zerfall ausgetauscht werden, die jetzige aber wird ein Leben lang halten. Genau wie die Liebe zum HSV", erzählt Patrick grinsend. Doch nicht nur seine Kutte macht ihn zum meistfotografierten HSV-Fan aller Zeiten. Er trägt unzählige Schals um die Arme, im Gesicht prangt blauweiße Kriegsbemalung und sein Iro ist mit Federn geschmückt. Er ist eben der Indianer der Nordkurve. Und hätten die Hamburger nicht schon einen dicken Dino als Maskottchen, würde er die Rolle sofort übernehmen können. Wir haben mit ihm über Fußball-Liebe, das leidenschaftliche Tragen von Kutten und die Freuden und Leiden eines HSV-Fans geredet.

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VICE Sports: Wie wird man zum HSV-Indianer?
Patrick: Ich gehe seit 1978 zum HSV. Aus finanziellen Gründen musste ich irgendwann eine Stadion-Pause einlegen. Während dieser Pause legte ich mir die Frisur von Mister T aus dem A-Team zu, ich bin großer Fan. Als ich gegen 2000 wieder anfing, regelmäßig ins Stadion zu gehen, kannte man mich nicht mehr, das Publikum hatte sich verändert. Allerdings fiel der Iro auf und alle sprachen mich mit „Indianer" an. Da dachte ich, wenn schon, dann richtig. Ich ging also in die Bastelabteilung und kaufte mir blauweißen Federschmuck und Schminke.

Du trägst 30 Schals an den Armen, trägst eine Kutte und Indianerschmuck. Wie reagieren die Leute im Stadion auf dich?
Ich genieße einen gewissen Respekt. Viele erkennen mich und vor allem Kinder gucken, als würden sie dem Weihnachtsmann begegnen, wenn ich um die Ecke komme. Unter fünf Selfies schaffe ich es selten aus dem Stadion, es existieren unzählige Bilder von mir auf Facebook. (lacht) Anfangs war mir das unangenehm, mittlerweile finde ich es toll.

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Und wie reagiert dein näheres Umfeld, zum Beispiel deine Familie und Freunde, auf dein Auftreten?
Ich umgebe mich hauptsächlich mit HSV-Fans, also waren die Reaktionen recht positiv. Wer mich allerdings gut kennt, weiß auch, dass ich es mit der HSV-Liebe manchmal übertreibe.

Inwiefern übertreibst du?
An meiner Zimmerdecke prangt eine riesige Raute, meine Küche strahlt in Blau und Weiß, auf dem Teppich prangt das Gründungsjahr des HSV und sogar auf den Gardinen sind kleine Logos. Davon ist nicht jeder Fan. Aber das ist mir herzlich egal.

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Zurück zu deiner Kutte. Seit wann trägst du Kutte?
Seit ich 13 bin. Mit meinem Cousin habe ich damals viele Sportveranstaltungen besucht. Zu meiner Schande war ich auch einige Male bei St. Pauli. (lacht) Im Volksparkstadion ist dann mein Herz hängengeblieben. Beim HSV gab es zwei Kategorieren von Fans: die Skinheads und die Kuttenträger. Ich wusste ziemlich schnell, zu welchen ich gehören will.

Das klingt ehrlich gesagt nicht nach dem optimalen Umfeld für einen 13-Jährigen.
Ich bin halb Iraner und das sieht man mir auch an, deswegen hatte ich auch wirklich einen Heidenrespekt vor den Skinheads. Allerdings stellte sich nach einigen Begegnungen heraus, dass alle HSV-Fans, die Skinheads eingeschlossen, eine große Familie sind und jeder, der eine Raute trägt, willkommen ist. Beim Fußball spielt Politik nur eine nebensächliche Rolle. Aber ich will hier nichts schönreden, ich verurteile diese politische Einstellung auf das Übelste. Allerdings zog mich diese Wahnsinnsatmosphäre an. Bis heute.

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Kannst du die Atmosphäre beschreiben?
Alle trafen sich in der Innenstadt, um ein paar Bier zu trinken und dann gemeinsam ins Stadion zu ziehen. Wer nicht dazu gehörte, nahm beinahe ängstlich Abstand von den blauweißen Herden. Das hat mir als kleiner Junge natürlich ein unbesiegbares Gefühl gegeben. Gerade bei Derbys lagen angespannte Stimmung und Stress in der Luft. Da war man auf einmal fast froh, die Skinheads an der Seite zu haben. (lacht)

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Hat der HSV immer noch ein rechtes Problem, speziell auch unter den Kuttenträgern?
Nein, überhaupt nicht mehr. Es wird innerhalb der Fanszene scharf darauf geachtet, dass rechtes Gut der Kurve fernbleibt. Obwohl ich iranischen Background habe, bekam ich in 30 Jahren keinen einzigen rassistischen Spruch gedrückt. Das zählt auch für die HSV-Kutten, kein einziger fragwürdiger Aufnäher kam mir bis jetzt unter die Augen. In den Achtzigern haben wir uns einen zweifelhaften Ruf erarbeitet, es ist schwierig, den wieder loszuwerden. Es ist aber nicht mehr so, dass St. Pauli der linke und wir der rechte Verein des Nordens sind. Gegen dieses Image wehren wir uns.

Was fasziniert dich am Kuttentragen bis heute?
Dass man seine wahre Vereinsliebe voller Inbrunst nach außen trägt. Jeder soll sehen, wo du hingehörst. Das ist großartig und bringt diese besondere Gemeinschaft und Stimmung in die Kurve.

Fehlt dir diese nach außen getragene Vereinsliebe mittlerweile im Stadion?
Bei den Ultras und Hooligans sieht man auf den ersten Blick meistens gar nicht, wo sie hingehören, sie tragen höchstens ein kleines Logo auf dem Pulli oder der Mütze. Das ist natürlich schade, da sie die Kurve dominieren. Allerdings bin ich kein Typ, der den „guten alten Zeiten" hinterher trauert. Zudem bringt die Kutte immer noch große Faszination im Stadion, auch bei den Ultras. Ich werde häufig angesprochen.

Was ist denn das Besondere an deiner Kutte?
Meine Kutte besteht nicht nur aus normalen Aufnähern. Ich habe mir das Wappen eigenhändig auf den Rücken gestickt, mit dem Schriftzug Nordkurve. Auf den Kuttenrand habe ich mit Perlen Texte und Sprüche genäht. Das gute Stück ist jetzt 16 Jahre alt und da steckt wirklich verdammt viel Liebe drin.

Bist du mit deiner Kutte so etwas wie der „Kuttenboss" beim HSV?
(lacht) Nein, auf keinen Fall. Bei uns gibt es keinen Boss. Ich bin sowieso meistens alleine unterwegs und treffe andere Fans zufällig. In unserer HSV-Kneipe „Unabsteigbar" tummeln sich einige Kutten, da treffen wir uns vor dem Spiel auf ein Bier und ziehen dann zusammen ins Stadion. Also: Obwohl meine Kutte eine der schönsten ist, gibt es keine Hierarchie.

Wird die Kutte im Schrank verbannt, sollte der HSV dieses Jahr absteigen?
(Stille) Für jemanden, der das aus ganzem Herzen lebt so wie ich, wäre ein Abstieg katastrophal. In der Woche zwischen den Relegationsspielen im letzten Jahr war ich einfach nur fertig. Glücklicherweise war ich in dieser Zeit arbeitslos, denn es hatte sich so viel Druck in mir aufgebaut, dass ich nichts hätte leisten können. Bei einem Abstieg würde eine Welt für mich zusammenbrechen. Selbstverständlich denke ich aber keine Sekunde darüber nach, die Kutte in den Schrank zu hängen. Die Jungs bereiten mir dieses Jahr schon wieder Kopfzerbrechen, aber was soll's: einmal HSV-Indianer, immer HSV-Indianer.