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NOlympia

Hamburg hat den Olympischen Gedanken nie verstanden

„Olympia—das gibt's nur ein mal" mit diesem Leitspruch scheiterte die Hamburger Elite peinlich bei der Abstimmung für Olympia in Hamburg. Sie vermochte es nie zu erklären, was das besondere am Olympischen Gedanken ist.
Foto: Imago

Die Hamburger Bürger haben entschieden: Es wird definitiv keine Olympischen Spiele im Jahr 2024 in der Hansestadt geben. Bei dem Referendum am Wochenende stimmten 51,6 Prozent der rund 650.000 Wahlbeteiligten gegen eine Bewerbung für die Spiele. Für die Hamburger Befürworter um Bürgermeister Olaf Scholz und die deutschen Sportverbände ist das Ergebnis eine herbe Niederlage. Dabei hatte sich die Olympia-Abneigung der Bürger schon in den letzten Wochen abgezeichnet.

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In Hamburg scheiterte schon die insgesamt siebte deutsche Olympia-Bewerbung—zum zweiten Mal nach 2013 in München stoppten die Bürger die Pläne. Trotz emotionaler Großevents wie dem Sommermärchen oder den Olympischen Spielen von München liegt dieser Trend vor allem daran, dass niemand so wirklich weiß, was die Olympischen Spiele dem einzelnen Bürger noch bringen. Auch die hanseatischen Olympia-Befürworter konnten diese Frage nur unbefriedigend beantworten. VICE Sports hat die Hauptgründe für das Hamburger NOlympia zusammengetragen:

Fehlendes Vertrauen in internationale und nationale Sportverbände

Die Bevölkerung hat sich ein mittlerweile tief sitzendes Misstrauen gegenüber sportlichen Großereignissen wie Olympia oder Fußballweltmeisterschaften angefressen. Gefüttert wurden sie dabei von den Sportverbänden und Funktionären, die jetzt scheinheilig über eine mangelnde Unterstützung oder gar eine fehlende Lust am olympischen Gedanken klagen. Dabei fielen die FIFA, der DFB, das Internationale Olympische Komitee (IOC) oder der Radsportverband (UCI) in den letzten Jahren eher durch interne Machtkämpfe, Korruption und ausufernde Dopingvergehen auf. Sie haben den Bürgern das Gefühl gegeben, dass sich nur sie und irgendwelche Sponsoren an den Sportfesten bereichern. Auch die Hamburger stellten sich die Frage: Warum profitiert von Olympia finanziell in der Regel nur das IOC, während die Ausrichterstadt meist draufzahlen muss?

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Gescheiterte Großprojekte wie Stuttgart 21, BER oder die Elbphilharmonie schrecken ab

Über den Dächern der HafenCity in Hamburg erstrahlt die Elbphilharmonie als warnendes Beispiel. Das Prestigeprojekt gilt durch die massiven Kostensteigerungen und die starke zeitliche Verzögerung als prominentes Skandalkind deutscher Großbauprojekte. Die täglich neuen peinlichen Details des Desasters am Berliner Flughafen BER oder die Bilder von Demonstranten bei Stuttgart 21 stecken tief in den deutschen Köpfen. Die Hamburger befürchteten auch diesmal ein böses Erwachen, vor allem, weil das als nachhaltig, umweltfreundlich und kosteneffizient angepriesene Projekt Olympia eigentlich zu perfekt schien.

Lächerliche Bewerbung vom Reißbrett

Peinliche Videos ohne Sportlerinnen, ein katastrophaler Song und inszenierte Flashmobs—all das Werben der Pro-Olympia-Hamburger hat nichts gebracht. Jede noch so teure Aktion fand eher Ablehnung und Spott statt irgendwelcher Sympathien für die Spiele.

Kosten waren nicht abzuschätzen

Beim Geld hört die Liebe auf, so ist das auch beim reichen Hamburger. Die Stadt ging von Ausgaben in Höhe von 11,2 Milliarden Euro aus. Aber selbst die Befürworter der Spiele erklärten, dass einige Kostenpunkte sich neun Jahre vor den Spielen kaum berechnen lassen. Die Tatsache, dass bisher alle Olympischen Spiele der Geschichte teurer wurden als geplant, machte die Hamburger misstrauisch. Zwar sollte die Stadt „nur" 1,2 Milliarden stemmen, doch der Bund sagte seine Zuschüsse in Höhe von 6,2 Milliarden Euro noch gar nicht verbindlich zu. Zudem besagt der Knebelvertrag des IOC, dass die Austragungsstadt alle finanziellen Risiken trägt.

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Gestiegene Terrorangst bei Großveranstaltungen

Die Anschläge von Paris mit dem Versuch, ins Stade de France zu gelangen, und das abgesagte Länderspiel in Hannover haben die Bevölkerung verunsichert. Der Terror scheint für viele Menschen direkt vor der Tür zu stehen und Sportveranstaltungen scheinen für Terroristen ein bevorzugtes Ziel zu sein. Die Olympischen Spiele würden unter massiven Sicherheitsvorkehrungen stattfinden müssen.

Der scheinheilige olympische Gedanke

Der olympische Gedanke steht für ein internationales Fest der Begegnung, wo alle Nationen der Welt ihr Bestes geben und sich über Kriege und Krisen hinweg in ihren Disziplinen in einem fairen Wettkampf messen. Die olympische Bewegung ist eine Bewegung des Friedens, in deren Mittelpunkt der Mensch steht, ganz gleich welcher Nation. Das wurde den Hamburgern aber nicht näher gebracht oder gar damit geworben—auch weil es niemand mehr glauben würde. Politiker und Sportfunktionäre sind durch Zusammenarbeit mit Staaten wie China oder Katar, die die Menschenrechte missachten, bei der Bevölkerung in Ungnade gefallen.

Hamburg meine Perle vor die Säue geworfen. Das Tor zur olympischen (Sport)welt für immer geschlossen. Dieses "Nein" verdient keine Lorbeeren
— Stefan Kretzschmar (@kr73) 29. November 2015

Die Herausforderungen der Flüchtlingskrise

Die Hamburger haben ganz andere Probleme als die Olympischen Spiele: Mehrere Hundert (!) Flüchtlinge pro Tag kommen seit Monaten in die Hansestadt. Wo die Politik durch fehlende Ausgaben tagtäglich versagt, kümmern sich zahlreiche ehrenamtliche Bürgerbewegungen. Gelder braucht es für andere Herausforderungen, denn vor allem die Hamburger leben in der Flüchtlingskrise die olympischen Werte auch ohne teures olympisches Feuer.

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Arroganz von Politikern und Wirtschaft

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz pries Olympia als wichtigstes Projekt seiner Legislaturperiode an. Die Stadtentwicklung sollte bis 2024 auf einen Stand gebracht werden, der normalerweise 20 bis 30 Jahre in Anspruch genommen hätte. Es wurden zahlreiche regionale Unternehmen mit ins Boot geholt. Während die Schickimicki-Branche sich für Olympia feierte, konnten Scholz und Co. jedoch keine befriedigenden Antworten auf die Bedenken von Olympia-Gegnern geben. Ein weiterer Kritikpunkt vieler Bürger: Hätte der Politiker nicht akutere Probleme wie die Flüchtlingskrise oder die horrenden Hamburger Mietpreise als politische Ziele verfolgen sollen?

#Hamburger haben nicht Nein zu #Olympia gesagt & schon gar nicht zum Sport. Sie haben Nein zu Verbänden & falschen Versprechen gesagt.
— Gianni Costa (@_giannicosta) 29. November 2015

Was bringt „Nur ein Mal Olympia im Leben" für Hamburg?

Die Hauptargumentation der Befürworter hat immer einen Tenor: „Diese Chance bekommt Hamburg nur ein Mal im Leben." Also genauso wie eine Blinddarm-OP oder den 22. Geburtstag. Viele Hamburger fragten sich: Was wollen wir überhaupt mit den Olympischen Spielen und was habe ich eigentlich davon?

Wegen der Konkurrenz ist eine Bewerbung aussichtslos

Die Konkurrenz heißt nicht China, Katar oder Russland, sondern Budapest, Rom, Paris und Los Angeles. Diese Städte haben Erfahrungen mit Großevents, sind angesehene Weltmetropolen und fragen ihre Bürger erst gar nicht. Mündige Gegner und schlechte Presse sind so also nicht zu befürchten. Da die EM 2024 wohl nach Deutschland kommt, wird es ein zweites Spektakel in diesem Jahr in Deutschland wohl nicht geben. Hamburg entscheidet sich aber wie schon Oslo, Stockholm, Graubünden, Krakau, Wien oder Boston gegen eine Bewerbung und spart die etwa 50 Millionen Euro, die alleine die Planung kostet—ohne die Sicherheit, Olympia überhaupt zu bekommen.

Folgt Benedikt bei Twitter: @BeneNie