Die innige Hassliebe zwischen 96-Ultras und Martin Kind und der Polizei
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it's not over until hannover

Die innige Hassliebe zwischen 96-Ultras und Martin Kind und der Polizei

96-Fans verherrlichten den Angriff einer Teenagerin auf einen Polizisten mit einem geschmacklosen Transparent. Und wieder wird Präsident Kind im Sinne der Polizei die Fans sanktionieren. Was ist da los in Hannover?

Bei keinem Bundesligisten wirkt das Verhältnis zwischen Vereinsführung und Ultras so angeknackst und brüchig wie bei Hannover 96. Die Polizei scheint aus dieser schwierigen Liaison eine noch kompliziertere Dreiecksbeziehung zu machen.

Das neueste Kapitel in der niedersächsischen Beziehungskrise wurde am Dienstag bei der Heimniederlage gegen den VfL Wolfsburg aufgeschlagen. Zwar haben die Anhänger der Wölfe eine „rote Laterne" gezündet und dabei die Ersatzbank von 96 getroffen, trotzdem wird dieses Spiel auch ein strafrechtliches Nachspiel für Hannover-Fans haben. Denn diese präsentierten in ihrem Block ein Banner mit dem Spruch „We Love Teens! ACAB!", der links mit einem blutigen Handabdruck und rechts mit einem Messer in einer Faust bebildert wurde. Die Polizei ermittelt nun wegen Beleidigung, da sie in der Aktion eine Anspielung auf einen Vorfall im Hauptbahnhof der niedersächsischen Landeshauptstadt sieht. Am Freitag vergangener Woche hatte dort eine 15-jährige Schülerin einen Beamten bei einer Routinekontrolle mit einem Küchenmesser in den Hals gestochen.

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"We ❤️ Teens! ACAB!" -Nordkurve Hannover pic.twitter.com/XB4VwbPICp
— runnertobi (@runnertobi) 1. März 2016

Woher kommt diese makabre Schadenfreude seitens der 96-Fans? Die meisten Ultragruppierungen sehen neben dem lokalen Fußballrivalen ganz klar die Polizei als ihren ewigen Erzfeind. „ACAB" und „FCK CPS" sind gar nicht mehr wegzudenken von Bannern, Klamotten oder Aufklebern, selbst Klagen vor Gericht helfen der Polizei nicht, diese offene Ablehnung der Staatsmacht zu verbieten. Der Hass auf die Ordnungshüter muss aber bei den Hannover-Ultras so tief sitzen, dass jede Gelegenheit genutzt wird, diesen auch öffentlichkeitswirksam zu formulieren. Gründe dafür finden sich in den letzten Jahren dafür zuhauf, denn zwischen Fans, Vereinsführung und Polizei in Hannover ist so einiges schiefgelaufen.

Im Sommer letzten Jahres gelangten brisante Postings und Kommentare von Beamten ans Tageslicht, die deutlich die Gewaltbereitschaft und auch die Menschenverachtung der bei Fußballspielen eingesetzten Bundespolizisten zeigen.

Dass der Job als eingesetzter Polizist bei Derbys oder Traditionsduellen nicht einfach zu bewältigen ist, das wird niemand bezweifeln, aber Deeskalation sieht anders aus.

Außerdem belastet die Beziehung zwischen Ultras und Polizei die oft einseitigen Entscheidungen der Vereinsführung bei Hannover, vor allem das Verhalten von Präsident Martin Kind. Nach Ausschreitungen beim Pokalspiel 2012 gegen Dynamo Dresden und beim Derby im November 2013 zu Hause gegen Eintracht Braunschweig kam es laut Martin Kind zum Bruch. In einem Spiegel-Interview beklagt Kind Eingangsstürme und den massiven Einsatz von Pyrotechnik und die daraus resultierenden DFB-Strafen. „Es kann nicht erwartet werden, dass wir diese Strafen erfüllen und dann zur Tagesordnung übergehen", so Kind damals.

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Als Reaktion antwortete die Vereinsführung dann im Rückspiel in Braunschweig mit einer Maßnahme, die vielen 96-Fans gar nicht schmeckte. In enger Abstimmung mit der Polizei mussten sich die Hannover-Anhänger zu einer vom Verein organisierten Anreise mit dem Bus verpflichten. Die Fanszene antwortete mit Boykott und Klagen vor Gericht. Viel mehr noch: Das eh schon angespannte Verhältnis zu Präsident Martin Kind war damit nachhaltig schwer beschädigt. Kind hatte damals aber wohl keine Wahl, denn das wiederholte Fehlverhalten der 96-Ultras veranlasste Innenministerium und Polizei zu diesem Sicherheitskonzept, denn „hätten wir das Konzept damals nicht umgesetzt, wären wir sicherlich vom Innenministerium und der Polizei für mögliche gewalttätige Exzesse verantwortlich gemacht worden. Dieses Risiko konnten wir nicht eingehen", erklärte Hannovers Präsident die Entscheidung. Im Nachhinein hat Kind dann eingeräumt, dass die Busreise vielleicht nicht zu Ende gedacht und nicht ausreichend mit den Fans besprochen worden sei, allerdings konnte das die Beziehung auch nicht kitten.

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Der Streit zwischen Ultras auf der einen Seite und Präsident Kind mit dem gemäßigten Anhang im Rücken auf der anderen hatte aber schon immer im Niedersachsen-Stadion geschwelt. Oft waren es nur Kleinigkeiten, doch jeder kennt die Metapher von dem Fass, das überläuft.

Vor etwa drei Jahren entzündete sich der Konflikt an einem Banner, das bisher niemanden gestört hatte. Die BILD-Zeitung titelte „Fans jubeln mit Serien-Mörder", was Präsident Martin Kind sofort zum Anlass nahm, das Abbild von Fritz Haarmann im Block zu verbieten. Haarmann wurde 1925 in Hannover wegen mehrfachen Mordes hingerichtet. Dennoch gehört er zur Stadtgeschichte Hannovers und besitzt dadurch ein morbides Identifikationspotenzial. Ultras bedienen sich da gern solcher Gestalten, gerade um den Gegner abzuschrecken oder nur, um zu provozieren. Nach dem Verbot tauchte Haarmann trotzdem immer wieder im Block der Ultras auf.

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Polizisten beschlagnahmen Fahnen im Block; Foto: Imago

Darauf reagierten die Vereinsverantwortlichen mit Stadionverboten und verhielten sich in den darauf folgenden Episoden recht dünnhäutig. Ein sichtlich gereizter Präsident bezeichnete die eigenen Fans auch mal als Arschlöcher, weil sie einen ehemaligen Spieler beleidigten. Der Missmut hat sich immer weiter hochgeschaukelt, so dass sich 2013 die Fan-Vereinigung „Rote Kurve" auflöste. Damit verlor Hannover 96 eine Organisation, die sich mit ihren 5.000 Mitgliedern um Auswärtsfahrten, Fanprojekte gegen Rassismus und Diskriminierung und natürlich Fanangelegenheiten kümmerte.

In der Begründung heißt es unter anderem: „Nachdem 96 Strafzahlungen für das Abbrennen von Pyrotechnik zu leisten hatte, versuchte man diese im Sinne einer Kollektivstrafe auf alle Fans, also auch jene, die sich nichts zu Schulden hatten kommen lassen, umzulegen. Außerdem drohte man, den Vorstand der Roten Kurve persönlich für Strafzahlungen haftbar zu machen, und entzog dem Fanladen entgegen aller Absprachen wiederholt die Erlaubnis, Eintrittskarten zu verkaufen, womit dieser und die Besitzer akut in ihrer Existenz bedroht waren." Die „Rote Kurve" besteht seit 2014 als Interessengemeinschaft (IG) weiter, da die organisierten Fans die Ideale der Kurve nicht sterben lassen wollten. Auf der Website heißt es dazu: „Den Vorteil der IG sieht man darin, eine lose Struktur ohne feste Verantwortliche und Ansprechpartner zu haben, die ggf. als Ziel für repressive Maßnahmen herhalten müssten." Der Streit eskaliert aber weiter.

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Bei den letzten Spielen der Saison 2013/14 verstummte der Ultra-Block völlig. Das verärgerte nicht nur Spieler, sondern auch die anderen Fans, bei denen Martin Kind großen Respekt genießt, da er Hannover 96 aus der Regionalliga in die Europa League geführt hat. Das führt dazu, dass sich ein Teil der Fanszene als unerwünscht ansieht und dann auch genauso behandelt wird. Auf Schlägereien im eigenen Stadion mit der Polizei und den Fans untereinander folgte der nächste Streich: keine Dauerkarten für die Blöcke N16/17 in der Nordkurve und keine Ermäßigung mehr. Die „Rote Kurve" fühlte sich aus dem eigenen Stadion vertrieben und zog aus. Ende 2014 tingelte der harte Kern der Hannover-Fans lieber durch die Regionalliga und unterstützte die Amateure. In einem Interview mit „Faszination Fankurve" sprach ein Vertreter der Fanszene von fehlenden Gesprächsgrundlagen. Außerdem hätte die Regionalliga auch ihre Reize: „Oldenburg, Meppen, Lübeck, und die Zweitvertretungen von Braunschweig, Wolfsburg und Bremen hören sich im Vergleich zu Hoffenheim und schon wieder Schalke oder München doch auch nicht schlecht an."

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde ganz Fußballdeutschland auf die verfahrene Situation in Hannover aufmerksam und fragte zu Recht, was sie denn da am Maschsee für einen Unsinn veranstalten. Dann kam vor gut einem Jahr endlich die Nachricht, dass sich Vereinsvorstand und aktive Fanszene geeinigt hätten. Das Wort Vertrauen wurde wieder in den Mund genommen und man sprach von gegenseitiger Wertschätzung. Der Verein erklärte sich sogar bereit, auf eine Zensur von Spruchbändern und Flyern zu verzichten, denn allen war bewusst: Das Saisonziel für Hannover 96 heißt Klassenerhalt und nicht mehr Europapokal. Dafür braucht jeder Fußballverein auch jede Unterstützung und mit vollen Rängen und stimmgewaltigem Support kämpft es sich auf dem Platz auch besser.

Und jetzt? Hannover steht auf dem letzten Tabellenplatz der ersten Liga, der Verein lässt verlauten, dass er auch mit dem aktuellen Trainer in der zweiten Liga planen würde und spricht weiterhin von der Marke und dem Produkt Hannover 96. Viel schlimmer noch aus Fansicht ist, dass die ansässige Tourismus- und Marketing-Gesellschaft davon spricht, dass „Hannover 96 derzeit kein Produkt bietet". Bei dieser Managersprache schmerzt jede Fanseele. Die frustrierte Anhängerschaft scheint deshalb wohl die alte Hassliebe zur Polizei mal wieder zum Ausdruck bringen zu müssen. Für dieses Recht auf Meinungsfreiheit haben sie ja in Hannover auch lange kämpfen müssen. Ob das Banner nun geschmacklos war oder gar eine Straftat darstellt, darüber sollen andere entscheiden. Vielmehr zeigt die Aktion, dass weiterhin die Beziehung zwischen Polizei, Vereinsführung und Ultras nicht nur kompliziert, sondern immer noch zerrüttet ist. Die nächste Krise kommt bestimmt…